Camel Club 01 - Die Wächter
aus und fuhr in Alltagskleidung auf dem Fahrrad zu seiner drei Kilometer entfernten Wohnung. Dort bereitete er sich in der winzigen Küche eine Mahlzeit aus Fladenbrot, Datteln, Saubohnen, Oliven und einem Stück halal Fleisch zu.
Adnans Familie hatte in Saudi-Arabien Vieh gezüchtet und Datteln angepflanzt, eine bemerkenswerte Leistung in einem Land, in dem sich nur ein Prozent des Bodens landwirtschaftlich nutzen ließ, doch war ihr Dasein schwer und mühsam geblieben. Nach dem Tod seines Vaters siedelten die al-Rimis in den Irak über, wo sie Weizen säten und Ziegen züchteten. Als ältester Sohn der Familie avancierte Adnan zum Patriarchen. Er schlachtete Tiere nach den Geboten des Islam, sodass das Fleisch halal war; die zusätzlichen Einkünfte aus dem Verkauf des Fleisches konnte die Familie gut gebrauchen.
Einen Becher Tee in der Hand, saß Adnan in seiner Wohnung, blickte zum Fenster hinaus und gab sich Erinnerungen an die damalige Zeit hin. Die Spitze seines überaus scharfen Messers hatte Ziegen, Lämmern, Hühnern und Rindern den Tod gebracht. Adnan hatte den Namen Gottes anrufen müssen, als er die Tiere schlachtete, indem er ihnen die Kehle aufschnitt. Stets hatte er beim Schlachten die Halswirbelsäule unangetastet gelassen, und dies aus zwei Gründen: Erstens litt das Tier weniger Schmerz, und zweitens kam es bei intakter Wirbelsäule noch eine Zeit lang zu Zuckungen, die das Abfließen des Blutes beschleunigten, das der Islam vorschrieb. Nach dessen Regeln durfte kein Tier jemals die Schlachtung eines anderen Tiers mit ansehen, und das Tier musste vor dem Schlachten gut genährt und ausgeruht sein. Es war ein himmelweiter Unterschied zu den Massentötungen in den amerikanischen Schlachthöfen, mit ihren elektrischen Betäubungsschockern und dem Totstechen im Akkord. Wahrhaftig, überlegte Adnan, Amerikaner waren im schnellen Massentöten die Besten.
Während er am Tee nippte, dachte er immer intensiver über seine Lebensgeschichte nach. Er hatte im fast zehn Jahre währenden iranisch-irakischen Krieg gekämpft, ein Krieg mit den erbittertsten Nahkämpfen in der Geschichte. Moslems hatten zu Abertausenden Moslems massakriert. Nach Ende des Krieges hatte Adnans Leben sich normalisiert. Er heiratete, gründete eine Familie und tat alles, um zu vermeiden, dass der größenwahnsinnige Saddam Hussein und seine Handlanger einen Grund sahen, ihm oder seiner Familie Übles anzutun.
Dann kam der 11. September, und bald darauf drangen in Afghanistan westliche Truppen ein, denen die Taliban rasch unterlagen. Adnan hatte damit kein Problem gehabt: Amerika war angegriffen worden und hatte zurückgeschlagen. Wie die Mehrheit der Iraki war Adnan kein Taliban-Anhänger. Im Irak ging das Leben weiter. Und trotz des internationalen Embargos gegen sein Land konnte Adnan weiterhin einen zwar bescheidenen, aber auskömmlichen Lebensunterhalt sichern. Dann aber erklärten die USA dem Irak den Krieg, und wie alle seine Landsleute wartete auch Adnan voller Furcht auf das Herabregnen der Bomben und Raketen. Er schickte seine Familie aus der Hauptstadt an einen Ort, den er irrtümlich für sicher hielt; er selbst blieb, weil er Iraker geworden war und ein fremder Staat den Irak angreifen wollte.
Als die amerikanischen Flugzeuge erschienen, beobachtete Adnan in stummem Grauen, wie Bagdad sich in eine unablässig brennende Feuerhölle verwandelte. Die Amerikaner sprachen von Kollateralschäden, doch in Adnans Augen waren und blieben es Männer, Frauen und Kinder, die man in ihren Häusern in Fetzen sprengte. Anschließend rückten die amerikanischen Panzer und Soldaten an. Was den Ausgang der militärischen Konfrontation anging, hatte es für Adnan nie einen Zweifel gegeben: Die Amerikaner waren einfach zu mächtig. Mit ihren Waffen verstanden sie noch aus 1500 Kilometern Entfernung zu töten. Adnan hatte zum Töten nie mehr als ein Gewehr, ein Messer oder die bloßen Fäuste gehabt. Und es hieß, dass die Amerikaner sogar Raketen hatten, die in Amerika starten und schon Minuten später den gesamten Nahen Osten zum Verglühen bringen konnten. Diese Vorstellung jagte Adnan Entsetzen ein. Es gab keine Möglichkeit, sich gegen etwas dermaßen Satanisches zu wehren.
Dennoch hatte sich nach Husseins Sturz Hoffnung geregt. Diese Hoffnung hatte sich jedoch bald in Verzweiflung verwandelt, als Gewalt und Tod die Oberhand gewannen und die bürgerliche Gesellschaft zusammenbrach. Und als die amerikanische Truppenpräsenz vollends
Weitere Kostenlose Bücher