Camel Club 01 - Die Wächter
Außer Gräbern gab es dort ein mit den Namen der Toten versehenes Mahnmal für die im Pentagon getöteten Menschen sowie einen Gedenkhain.
Stone erstarrte, als er sah, wer sich da inmitten des Rings bewaffneter Leibwächter bewegte. Reuben spähte ebenfalls hinüber.
»Carter Gray«, murmelte Reuben.
»Besucht das Grab seiner Frau, nehme ich an«, meinte Stone leise. »Bevor morgen der Massenansturm einsetzt.«
Carter Gray verharrte am Grab seiner Frau Barbara, kniete nieder und legte einen kleinen Blumenstrauß auf die Fläche abgesunkener Erde. Streng genommen war der Jahrestag ihres Todes erst morgen, aber dann würde es auf dem Friedhof von Menschen nur so wimmeln, und Gray verspürte – wie Stone erraten hatte – keinerlei Neigung, in einem Moment persönlicher Trauer von Horden Fremder umdrängt zu werden.
Gray stand auf und besah sich das Grab seiner Frau, während seine Leibwächter respektvollen Abstand wahrten.
Barbara Gray war nach einer ehrenvollen Karriere, in deren Verlauf sie beim Militär viele Neuerungen für Frauen durchgesetzt hatte, als Brigadegeneralin aus der Armee ausgeschieden. Außerdem hatte Barbara Gray sich als lauteste Fürsprecherin der WASP des Zweiten Weltkriegs betätigt – der Women’s Air Force Service Pilots, die Flugzeuge an Einheiten der US-Luftwaffe überführt hatten. Barbara Gray hatte für das Recht dieser Frauen gestritten, auf dem Friedhof Arlington mit allen militärischen Ehren bestattet zu werden. Da man die WASP nach dem Krieg sang- und klanglos aufgelöst hatte, war ihnen ein entsprechender Anspruch versagt geblieben. Im Juni 2002 regelte ein neuer Erlass, dass den Mitgliedern gewisser militärischer Frauenverbände, darunter auch den WASP, auf dem Heldenfriedhof immerhin das normale militärische Beisetzungszeremoniell gewährt wurde, wenn auch nicht mit vollen militärischen Ehren. Leider hatte Barbara Gray diesen Tag nicht mehr erlebt.
Am Morgen des 11. September 2001 befand sich Barbara Gray, damals zivile Beraterin des Pentagon, in einer Besprechung mit zwei Heeresoffizieren, als die Maschine der American Airlines in das Gebäude raste und das Büro vernichtete, in dem sie saß. Noch schrecklicher geriet diese Tragödie dadurch, dass die Tochter der Grays, Maggie, Juristin in Regierungsdiensten, eben das Pentagon betreten hatte, um sich mit ihrer Mutter zu treffen. Maggie wurde bei der Einschlagsexplosion buchstäblich zu Asche verbrannt.
Während Carter Gray am Grab seiner Frau stand, stiegen die schrecklichen Bilder dieses Morgens wieder in ihm auf – ebenso die Schuldgefühle, denn eigentlich hätte auch er in dem Gebäude sein müssen. Gray hatte Frau und Tochter im Pentagon abholen sollen, damit sie endlich in einen seit langem geplanten Familienurlaub fahren konnten. Doch er hatte im Verkehr festgesteckt und schon zwanzig Minuten Verspätung gehabt. Als er das Pentagon erreichte, gab es seine Familie schon nicht mehr.
Schließlich hob Gray den Blick von der geweihten Erde, schaute sich um und erblickte die beiden Männer, die aus einiger Entfernung herübersahen. Den großen kannte er nicht, doch bei dem anderen Mann hatte er auf Anhieb den Eindruck, ihn zu kennen. Er blickte den beiden nach, als sie sich abwandten und davongingen. Gray blieb noch zehn Minuten am Grab seiner Frau; dann hatte er einfach keine Ruhe mehr und strebte zu der Stelle, an der die zwei Männer gestanden hatten. Auch das dortige Gräberfeld, stellte er plötzlich fest, kam ihm bekannt vor. Er betrachtete die Grabsteine. Rasch erfasste sein Blick Namen um Namen, verharrte schließlich auf einem Grabstein.
Im nächsten Moment mussten seine Leibwächter sich unversehens sehr beeilen, weil Gray fast im Laufschritt den Weg entlanghastete. Kurz vor dem Ausgang hielt er an, beugte sich vor und rang nach Atem, sodass die Leibwächter besorgt um ihn her wimmelten und sich nach seinem Befinden erkundigten. Gray gab keine Antwort. Er hörte sie nicht einmal.
Der Name auf dem Grabstein hatte ihn zutiefst verstört. Gray wusste genau, dass der Zinksarg unter dem Grabstein keinen Leichnam barg. Die Bestattung war ein Täuschungsmanöver gewesen, Teil der Tarnung. Hingegen war der Name auf dem Grabstein echt. Es war der Name eines Mannes, von dem man glaubte, er wäre bei der Verteidigung des Vaterlandes gefallen.
»John Carr.« Gray sprach den seit Jahrzehnten nicht mehr erwähnten Namen laut aus.
John Carr. Der perfekteste Killer, den Carter Gray je gekannt hatte.
Bei
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