Camel Club 01 - Die Wächter
der Klinik bekommen?« Der Gefangene senkte den Blick auf seine Hände und schwieg. »Und wer sind diese Personen?«, fragte Gray, wobei er mehrere Fotos auf dem Tisch ausbreitete. »Ist das Ihre Familie?« Keine Antwort. »Die Fotos wurden in Ihrer Wohnung beschlagnahmt, also gehe ich davon aus, dass Sie wissen, wer diese Leute sind. Es sind interessante Fotos. Auf der Rückseite jedes Bildes steht etwas auf Arabisch. Anscheinend sind es Geburts- und Todesdaten sowie andere Angaben.« Gray hielt das Foto eines Teenagers hoch. »Dem Vermerk zufolge war er sechzehn, als er starb. Außerdem steht da, dass er während des iranisch-irakischen Kriegs den Tod gefunden hat. War er Ihr Bruder? Auf welcher Seite hat er in dem Krieg gekämpft? Und auf welcher Seite haben Sie gestanden?« Gray wartete nicht auf Antwort, weil er wusste, dass er keine bekommen würde. Er hob ein anderes Foto hoch, diesmal das einer Frau. »Hier steht, sie sei während der ›ersten amerikanischen Invasion des Irak‹ ums Leben gekommen. Ich nehme an, damit ist der Erste Golfkrieg gemeint, als die Vereinigten Staaten Kuwait zu Hilfe kamen, nachdem der Irak Kuwait überfallen hatte. War sie Ihre Frau? Haben Sie für Saddam Hussein gekämpft?« Wieder bekam er keine Auskunft. Er ergriff ein weiteres Foto, das ein junges Mädchen zeigte, und drehte es um. »Getötet während der zweiten amerikanischen Invasion des Irak«, las er ab. »War sie Ihre Tochter?« Immer noch starrte der Gefangene auf seine Hände. »Sie haben alle diese Menschen, Ihre Familie, Ihre Freunde, in Kriegen und Aufständen verloren. Moslems gegen Moslems, dann Moslems gegen Amerikaner. Um was geht es dabei?« Gray beugte sich vor. »Geht es um Rache?« Er schob die Fotos zusammen und nickte den Wächtern zu. »Ich komme in Kürze wieder«, sagte er zu dem Gefangenen und erhob sich. »Dann werden Sie mir alles erzählen.«
Am nächsten Morgen musste die Nation aufgrund ohnehin schon kursierender Gerüchte darüber informiert werden, dass die Terroristen bei der Entführung Präsident Brennans lediglich Betäubungswaffen benutzt hatten. Deshalb waren keine Amerikaner ums Leben gekommen, obwohl beim Chaos auf dem Festplatz zahlreiche Menschen verletzt worden waren. Die Welt war fassungslos angesichts der bestätigten Tötung von einundzwanzig Arabern, Afghanen und Iranern. Die Schlagzeile der New York Times brachte das Befremden auf den Punkt: Selbstmordattentäter, die nur sich selbst töten? In der Washington Post warf man die Frage auf, ob eine Erklärung darin gesehen werden könnte, dass echte Waffen den Magnetmetern nicht entgangen seien. Doch niemand konnte begreiflich machen, wieso die Heckenschützen am Mercy Hospital ebenfalls Betäubungswaffen verwendet hatten.
Die New York Post stellte offen die Frage: Was ist eigentlich los?
In den Straßen Amerikas und auf dem Rest der Erdkugel griff neue Gewalt um sich. Man spürte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis etwas Weltbewegendes geschah.
Tatsächlich gingen noch am selben Vormittag aufregende Meldungen im Weißen Haus ein. Sämtliche großen amerikanischen Fernsehsender hatten von den arabischen Kollegen bei Al Dschazira eine Nachricht erhalten, dass in aller Kürze ein soeben von den Entführern übermitteltes Erpresserschreiben der Welt bekannt gegeben werden sollte. In dem Schreiben stünden aufsehenerregende Mitteilungen, ließen Al-Dschazira-Sprecher verlauten. Niemand, nicht einmal der amerikanische Präsident, dürfe vorab von den Forderungen der Kidnapper Kenntnis haben. Die Entführer wünschten, dass Regierung und Bevölkerung der USA zur selben Zeit informiert wurden.
Der Kommentar, den Hamilton dazu abgab, hätte bei einer Live-Übertragung im Fernsehen mit zahlreichen Pieptönen gespickt werden müssen und hätte ihm voraussichtlich trotzdem eine Rüge wegen Fäkalsprache in den Medien eingetragen. Doch was hätte er tun können? Hamilton rief das Kabinett, seine Berater und die Militärbefehlshaber zusammen, um sich gemeinsam mit ihnen die Übertragung anzuschauen.
»Woher sollen wir überhaupt wissen, dass diese Leute den Präsidenten wirklich haben?«, warnte der Nationale Sicherheitsberater. »Das Ganze kann von vorn bis hinten Humbug sein.«
»Ganz recht«, stimmte Verteidigungsminister Decker ihm zu. Als Kabinettsmitglied genoss er hohe Achtung; Decker galt als ein Mann, der seine Hausaufgaben machte, die politischen Karten ausreizte und keine Bedenken hatte, das militärische
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