Camel Club 01 - Die Wächter
Unbezwingbarkeit gelitten hatte, war sein Durchsetzungsvermögen geblieben.
»Vielleicht sollten wir uns erst einmal den Rest anhören«, sagte Gray und wies auf den Wandfernseher.
Im Sitzungssaal breitete sich Stille aus.
»Es folgt ein neuer Abschnitt«, sagte der Moderator, der sein Blatt auffällig fest in den Händen hielt. Er räusperte sich und las weiter. »Zivilisierte Länder, die ihren Willen einseitig mit Kugeln und Bomben geltend machen, sind Terroristen und haben kein Recht, anderen Ländern die Anwendung der gleichen Mittel abzusprechen. Wer das Schwert erhebt, wird oft durch das Schwert sterben.« Erneut verstummte der Moderator. »Obwohl alles, was bisher geschehen ist, die wohl unglaublichste Kette von Ereignissen sein dürfte, die ich während meiner zweiunddreißigjährigen Tätigkeit in der Nachrichtenredaktion erlebt habe, kommt der absonderlichste Teil der Verlautbarung erst jetzt.« Er legte eine dritte Kunstpause ein, um diesem Augenblick das angemessene Gewicht zu verleihen.
»Verdammt!«, brauste Verteidigungsminister Decker auf. »Raus mit der Sprache!«
»Unabhängig davon, ob die Forderungen erfüllt werden oder nicht«, verlas der Moderator, »wird Präsident Brennan heute in genau einer Woche an einem sicheren Ort unversehrt freigelassen. Die zuständigen Behörden werden unverzüglich verständigt, sodass er geborgen werden kann. Dessen ungeachtet legen wir der Welt nahe, unsere Forderungen mit größtem Ernst zu betrachten, wenn es je salaam geben soll.« Hastig fügte der Moderator eine Erklärung an. »Das ist das arabische Wort für ›Frieden‹.«
Im Weißen Haus starrten die Teilnehmer der Krisensitzung entgeistert auf den Bildschirm.
»Was hat er gerade gesagt?«, fragte Hamilton.
»Er hat gesagt«, antwortete Gray mit artikulierter Stimme, »dass der Präsident unversehrt freigelassen wird, ob die Forderungen nun erfüllt werden oder nicht.«
»Blödsinn!«, brüllte Decker. »Halten die uns eigentlich alle für Idioten?«
Nein , dachte Gray, dass sie euch alle für Idioten halten, bezweifle ich.
»Das ist lachhaft«, fuhr Decker zornig fort. »Ich wüsste zu gern, wo sie die Burschen rekrutiert haben, um so etwas durchzuziehen.«
Gray warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Es gibt über eine Milliarde Moslems. Unsere geheimdienstlichen Erkenntnisse besagen, dass Hunderttausende von ihnen bereit sind, für ihre Sache zu sterben. Moslems sind leidenschaftliche Anhänger ihres Glaubens. Bilden Sie sich wirklich ein, es wäre unter diesen Voraussetzungen schwierig, knapp zwei Dutzend Freiwillige aufzutreiben, die bereit sind, ihr Leben zu opfern? Wir stehen gegen diese Menschen im Krieg, Joe. Wenn Sie nicht einmal den Feind kennen, übersteigt es möglicherweise Ihre Fähigkeiten, das Verteidigungsministerium zu leiten.«
»Was ist denn jetzt in Sie gef…«, setzte Decker zu einer Erwiderung an, doch Gray fiel ihm ins Wort.
»Die Frage, die wir beantworten müssen«, stellte er ungehalten fest, »lautet ganz anders: Wer hat sich den Plan ausgedacht? Ich bezweifle, dass eine der mir bekannten Terroristengruppen dahintersteckt. Und das bedeutet, es mischt jemand anders mit. Und diesen Jemand gilt es aufzuspüren.«
KAPITEL 60
Nach Bekanntwerden des befremdlichen Erpresserschreibens ging Carter Gray mit frischer Zielstrebigkeit ans Werk. Weil die NIC-Datenbanken keine Informationen über Farid Schah enthielten, hatte Gray sich überlegt, wo sonst er suchen könnte. Das FBI hatte seine Fingerabdruck-Datenbank AFIS, doch Gray war fast sicher, dass sich auch dort nichts finden ließ. Niemand nahm einen falschen Namen an, dem Vorstrafen anhingen. Und tatsächlich blieb das Nachforschen in den AFIS-Datenbanken ohne Ergebnis, wie Gray es erwartet hatte.
Anschließend stieg Gray in einen Hubschrauber und flog nach Brennan, Pennsylvania. Dort war eine provisorische Leichenhalle eingerichtet worden. Gray sah sich jeden Toten genau an. Der Arzt aus dem Mercy Hospital kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er konnte den Mann nicht unterbringen. Zweifellos war es ein Problem, dass viele Fotos in den Terroristendateien des NIC zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt waren, und Menschen veränderten sich mit der Zeit.
Anschließend besichtigte Gray den Festplatz, die Autowerkstatt, das Krankenhaus und zuletzt das Wohngebäude, von dem aus die Heckenschützen die Polizei in Schach gehalten hatten. Doch der NIC-Chef gewann keinerlei Einsichten; er konnte nur über die äußerst
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