Camel Club 01 - Die Wächter
will doch, dass die Welt davon erfährt. Historisch betrachtet, ist es nie ihre Taktik gewesen, die Verantwortung einer anderen Gruppierung zuzuschieben. Bloß besteht diesmal ein Unterschied, weil die Scharia-Gruppe nicht erwartet hat, dass wir die atomare Karte ausspielen. Deshalb zieht sie jetzt die Hörner ein und leugnet die Verantwortung. Nein, diese Schurken haben Brennan, da gibt’s für mich keinen Zweifel.«
Hamilton musterte Decker. »Aber wenn nicht, und wir äschern Damaskus ein… was dann?« Hamilton schüttelte den Kopf, drehte sich um und richtete den Blick wieder hinaus in die Dunkelheit eines ansonsten schönen Spätsommerabends in Washington, D.C. Von den Straßen riefen ihm Tausende von Stimmen ihren Protest zu. Die »Kein Atomschlag«-Sprechchöre, mit denen die Bürger der Vereinigten Staaten der politischen Führungskaste ihren Standpunkt unüberhörbar verdeutlichten, drangen sogar durch die dicken Mauern des Weißen Hauses. Eines jedoch sah Hamilton ein: Nachdem die atomare Drohung ausgesprochen worden war, konnte sie nicht zurückgenommen werden. Andernfalls wäre Amerikas Billiarden Dollar teures Atomwaffenarsenal im Handumdrehen wertlos.
Statt das Weiße Haus aufzusuchen und an einer Dauerkonferenz teilzunehmen, in der er nichts anderes als eine sinnlose »Totenwache« für sechs Millionen Syrer sah, die am Rande der Auslöschung standen, war Carter Gray im NIC-Hauptquartier geblieben. Er stand vor Patrick Johnsons verlassenem Arbeitsplatz und betrachtete den dunklen Computerbildschirm. Mancherlei Schwierigkeiten. System mehrmals abgestürzt. Und schwupp! Atmende und lebende Terroristen verschwanden in digitalen Gräbern.
Er setzte sich auf Johnsons Stuhl und schaute sich in der Nische um. Auf dem Schreibtisch war noch das Bild Anne Jeffries’ verblieben, Johnsons Verlobter. Gray nahm es zur Hand und sah es sich an. Eine nette Frau, befand Gray. Sie würde jemand anderen finden, um mit ihm das Leben zu teilen. Nach allem, was Gray über Johnson in Erfahrung gebracht hatte, war der Mann in seinem Beruf sehr tüchtig gewesen, hatte jedoch das Naturell einer Schnecke gehabt. Ohne den geringsten Zweifel war der Entführungsplan nicht auf seinem Mist gewachsen. Man konnte es kaum glauben, sinnierte Gray: Irgendjemand innerhalb der führenden Geheimdienstorganisation der USA hatte eine Gruppe vorgeblich toter Moslems geführt mit dem Ziel, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu kidnappen. Und jetzt war die Welt einem globalen Dschihad nahe.
Mittlerweile hatte Gray die Datenbanken gründlich kontrolliert. Das Fälschen der Dateien hatte keine elektronischen Spuren hinterlassen, was Gray aber nicht wunderte, wenn er Johnsons Fachwissen und den Umstand berücksichtigte, dass er beim Aufbau der Datenbanken und der späteren Fehlerbereinigung des Systems mitgewirkt hatte. Ein solcher Mann wusste genau, wie er Verbotenes vertuschen konnte. Aber wer hatte ihn angestiftet? Wer hatte ihn so großzügig bezahlt, dass er sich das teure Haus und die Luxusschlitten hatte leisten können?
Und eine weitere Frage beschäftigte Gray. Wo war der Präsident? Er konnte gar nicht so weit weg sein. Gray glaubte nicht, dass Brennan sich im saudi-arabischen Medina aufhielt. Kein Moslem würde einen Christen nach Medina bringen.
Gray erinnerte sich an den Tag, an dem Jackie Simpson und ein anderer Secret-Service-Agent im NIC aufgekreuzt waren; er hatte sie zusammen mit zwei NIC-Mitarbeitern angetroffen… Reynolds? Nein, Reinke. Der große Blonde. Der andere Mann war kleiner und untersetzt gewesen. Peters? Ja, genau. Hemingway hatte erwähnt, dass die beiden Männer damit beauftragt worden waren, Johnsons Selbstmord zu untersuchen.
Gray griff zum Telefon und erkundigte sich nach dem Aufenthaltsort der beiden Agenten. Die Auskunft erstaunte ihn: Sie waren nicht zum Dienst erschienen. Er zog eine weitere Erkundigung ein. Das Ergebnis befremdete ihn noch mehr, und er fragte sich, weshalb er nicht längst misstrauisch geworden war und in dieser Richtung nachgeforscht hatte.
Gray erfuhr, dass Tom Hemingway selbst die beiden Agenten mit den Ermittlungen im Fall Patrick Johnson betraut hatte. Zumindest wusste Gray, wo Hemingway sich herumtrieb: Unmittelbar nach der Entführung war er unter neuer Tarnung in den Nahen Osten geschickt worden, um dort auszuloten, was sich an Erkenntnissen erlangen ließ. Hemingway hatte sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet. Derzeit gab es keine Möglichkeit, mit ihm in
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