Camel Club 01 - Die Wächter
geliebt und geachtet, hatte durch sein Vorbild Freundlichkeit und Mitgefühl erlernt. Im Gegensatz zu anderen Botschaftern, die ihren Posten mittels fetter Wahlkampfspenden »erwarben«, sich aber nie die Mühe machten, sich Wissen über die Kultur des Landes anzueignen, in das man sie schickte, oder sich gar in die dortige Sprache einzuarbeiten, hatte Franklin Hemingway sich und seine Familie mit der Geschichte und der Sprache jedes Staates vertraut gemacht, in den man ihn entsandt hatte. Dadurch war sein Sohn Tom zu einem wesentlich besseren Verständnis und einer so tiefen Würdigung sowohl der islamischen wie auch der asiatischen Welt gelangt wie kaum ein zweiter Amerikaner.
Tom Hemingway hatte einen anderen Weg eingeschlagen als sein Vater, da er bezweifelte, für eine Karriere als Diplomat geeignet zu sein. Stattdessen hatte er die Bühne der internationalen Spionage betreten. Er hatte bei der NSA angefangen, war dann zur CIA gewechselt und hatte sich weiter hochgearbeitet. Tom Hemingway hatte dies als erstrebenswerte und ehrenvolle Laufbahn betrachtet und sich ihr mit all dem Eifer gewidmet, den sein Vater ihm vererbt hatte.
Deshalb war er ein hervorragender Außenagent geworden, den man in den gefährlichsten Krisengebieten der Erde einsetzte. Er hatte Mordversuche überlebt, manchmal nur um Haaresbreite. Umgekehrt hatte er im Namen seiner Regierung getötet. Er hatte Staatsstreiche eingefädelt, um demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen. Er hatte Operationen geleitet, die in unsicheren Dritte-Welt-Ländern Instabilität verursachten, weil dies als die beste Methode erachtet worden war, um eine für die USA vorteilhafte politische Atmosphäre zu schaffen. Er hatte alles getan, was man von ihm verlangte – und noch mehr.
Und am Ende war alles vergeblich gewesen. Seine mühsame und wertvolle Arbeit erwies sich als Heuchelei, die mehr geschäftlichen als nationalen Interessen diente und nichts anderes bewirkte, als ohnehin schlechte Verhältnisse weiter zu verschlimmern. Die Welt stand der Vernichtung näher, als Tom Hemingway es je zuvor erlebt hatte, und er hatte schon eine Menge erlebt.
Für diese ernste Lage gab es zahlreiche Gründe. An erster Stelle musste die kritische Verknappung von Wasser, Öl, Gas, Erz, Kohle und anderen natürlichen Rohstoffen genannt werden. Reiche Staaten wie die USA, Japan und China sicherten sich den Löwenanteil dieser Schätze und ließen den ärmsten Nationen nur Almosen übrig. Doch es betraf mehr als die aus historischer Sicht komplizierten Fragen des Habens und Nichthabens. Es ging auch um das grundsätzliche Phänomen der Unwissenheit und Intoleranz.
Im Alter von vierzig Jahren hatte Hemingways Vater daran mitgewirkt, in Ländern Frieden zu stiften, die vorher nichts als Krieg gekannt hatten. Im gleichen Alter hatte der Sohn dabei geholfen, in den verschiedensten Ländern den Frieden zu zerstören, bis alles in Trümmern lag.
Doch irgendwann hatte er damit aufgehört und überlegt, welche anderen Optionen ihm offenstanden. Nach und nach war ein Plan in ihm gereift. Viele Leute hätten ihn wegen seines Vorhabens als hoffnungslos naiv bezeichnet. So funktioniert die Welt nicht, hätten sie argumentiert. Sie hätten Hemingway ein klägliches Scheitern prophezeit. Doch es waren dieselben Personen, die unter dem Vorwand der Hilfeleistung in bestimmten Teilen der Erde schreckliche Gräueltaten verübt hatten. Diese Verbrechen war aus niederen Motiven wie Geld- und Machtgier verübt worden – und die Täter erwarteten, davonzukommen, ohne von den Menschen, denen sie bitteres Unrecht zugefügt hatten, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wer ist hier eigentlich naiv?, hatte Hemingway sich gedacht.
Sein offizieller Beruf hatte es ihm in den letzten Jahren gestattet, den Nahen Osten kreuz und quer zu bereisen. In dieser Zeit hatte er nach und nach die Teile des beabsichtigten Puzzles gesammelt und sich mit Menschen getroffen, deren Unterstützung er brauchte – vor allem ein Mann, vor dem Hemingway tiefen Respekt hatte, ein langjähriger Freund seines Vaters. Dieser Mann vermittelte Hemingway nicht nur Kontakt zu den richtigen Leuten, er stellte ihm auch die für eine groß angelegte Unternehmung erforderlichen Gelder zur Verfügung. Hemingway zweifelte keine Sekunde, dass sein Gönner für diesen Großmut eigene Beweggründe hatte. Tom Hemingway jedoch, geboren und aufgewachsen als Amerikaner, hätte trotz all seiner Beziehungen in der dortigen Region, trotz aller
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