Camel Club 02 - Die Sammler
Riesenvilla von viertausend Quadratmetern verband. DeHaven hatte Gerüchte gehört, nach denen so etwas in diesem historischen, streng denkmalgeschützten Viertel nur durch Bestechung möglich sein sollte. Das ganze Konglomerat verfügte nicht nur über einen Aufzug für vier Personen, sondern auch über Personalunterkünfte, in denen tatsächlich Bedienstete lebten.
Zudem schleppte Behan zu den unmöglichsten Tageszeiten eine Auswahl atemberaubend schöner Frauen in seinen Palast, hatte jedoch immerhin so viel Anstand, damit zu warten, bis seine Angetraute außerhalb der Stadt weilte, was meistens eine Einkaufstour nach Europa bedeutete. DeHaven vermutete, dass Behans Ehefrau eigene erotische Abenteuer suchte, während sie sich auf der anderen Seite des Atlantiks befand. Er stellte sich die elegante, attraktive Dame vor, wie ihr junger französischer Liebhaber sie auf einem übergroßen Louis-XVI.-Esstisch bestieg, während im Hintergrund Ravels Bolero erklang. Es sei dir gegönnt, dachte DeHaven.
Er verdrängte die Sündhaftigkeit seiner Nachbarn aus dem Bewusstsein und trat mit lebhaft-federnden Schritten den Weg zur Arbeit an. Jonathan DeHaven war der überaus stolze Abteilungsleiter der Raritätenabteilung der Kongressbibliothek, der angeblich – angeblich, weil nicht unbestritten – weltweit besten Sammlung seltener Bücher. Doch mochten Franzosen, Italiener und Briten noch so sehr dagegen argumentieren, DeHaven hegte seit eh und je von vornherein die Überzeugung, dass allein die amerikanische bibliothekarische Raritätenabteilung die beste der Welt sein konnte.
In gleichmäßigem, wohl bemessenem Gehtempo, das er von seiner Mutter übernommen hatte, schlenderte er einen halben Kilometer weit über die gepflasterten Gehwege. Seine Mutter hatte jeden Schritt ihres langen Lebens genau abgezirkelt. An ihrem Todestag war DeHaven nicht ganz sicher gewesen, ob seine weithin als herrisch bekannte Mama nicht die Beisetzung stornieren, stattdessen sofort zur Himmelspforte auffahren und energisch Einlass fordern würde, um das Kommando zu übernehmen.
An einer Straßenecke stieg er in einen überfüllten städtischen Bus und teilte sich die Sitzbank mit einem jungen Mann, dessen Kleidung Trockenmauerstaub bedeckte und der einen verbeulten Eiskühler zwischen den Füßen stehen hatte. Fünfundzwanzig Minuten später stieg DeHaven an einer belebten Kreuzung aus dem Bus.
Er überquerte die Straße und betrat ein kleines Café, in dem er seine Tasse Morgentee trank, ein Croissant verzehrte und die New York Times las. Wie gewohnt gab es nur zutiefst deprimierende Schlagzeilen. Kriege, Wirbelstürme, eine mögliche Grippe-Pandemie, Terrorismus – eigentlich reichte das, um sich zu Hause zu verkriechen und die Türen zu verrammeln. Ein Bericht befasste sich mit Ermittlungen wegen irgendwelcher Unregelmäßigkeiten im militärisch-industriellen Komplex. Von Bestechung und Korruption unter Politikern und Rüstungsproduzenten war die Rede. Nein, wie schockierend. Dabei hatte ein Skandal – bei dem es um Geld gegen Einfluss ging – schon den früheren Sprecher des Abgeordnetenhauses den Posten gekostet. Und dann war sein Nachfolger Robert Bradley vor dem Federalist Club brutal ermordet worden. Das Verbrechen war noch nicht aufgeklärt worden, obwohl eine bis dahin unbekannte heimische Terroristengruppe, die sich »Amerikaner kontra 1984« nannte – ein Bezug auf Orwells Meisterwerk über den Faschismus –, die Verantwortung für die Tat übernommen hatte. Den Medien zufolge kamen die Ermittlungen der Polizei schleppend voran.
Gelegentlich schaute DeHaven durchs Café-Fenster ins Freie und sah Regierungsmitarbeiter zielstrebigen Schritts durch die Straße eilen, allzeit bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen, oder wenigstens mit ein, zwei vertrottelten Senatoren. Hier ist man in einer wirklich äußerst ungewöhnlichen Umgebung, dachte DeHaven. Da stapften heroische Kreuzzügler und schlichen schmierlappige Profitmacher durcheinander, vermischten sich mit allen Arten von Idioten und Intellektuellen, von denen die Ersteren leider stets die höheren Machtpositionen innehatten. Dies war die einzige Stadt in den Vereinigten Staaten, wo man den Krieg erklären, die Bundeseinkommenssteuer erhöhen und die Sozialleistungen kürzen konnte. Die Entscheidungen, die man auf diesen wenigen Quadratkilometern der Denkmäler und Gedankenlosigkeit fällte, machten Legionen von Menschen entweder wütend oder froh und ließen sie
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