Camel Club 02 - Die Sammler
vorsprechen.« In Wahrheit hatte Seagraves vor dem Gebäude auf Caleb gewartet.
»Ich gehe mir gerade ein Sandwich holen. Bestimmt treffen Sie im Lesesaal jemand anderes an, der Ihnen ein Buch heraussuchen kann.«
»Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob nicht Sie mal einen Blick auf meine Bücher werfen möchten.«
»Was?«
»Meine Sammlung. Sie steht in meinem Büro. Es ist nur wenige Häuserblocks von hier. Ich bin auf Ölindustrie spezialisierter Lobbyist. In meinem Gewerbe zahlt es sich aus, immer in der Nähe des Capitol Hill zu bleiben.«
»Das glaube ich gern.«
»Meinen Sie, Sie können für mich ein paar Minuten erübrigen? Ich verlange viel von Ihnen, ich weiß …«
»Na schön. Hätten Sie was dagegen, wenn ich mir unterwegs ein Sandwich kaufe? Ich habe nicht zu Mittag gegessen.«
»Keineswegs. Wissen Sie, ich habe dort für eine fünftägige Ansichtsfrist Werke von Ann Radcliffe und Henry Fielding liegen.«
»Hervorragend. Welche Werke?«
»Radcliffes The Romance of the Forest und Fieldings Die Geschichte der Abenteuer des Joseph Andrews und seines Freundes Mr. Abraham Adams.«
»Eine ausgezeichnete Wahl, Bill. Radcliffe war ein Genie des Schauerromans. Viele Leser denken, dass die modernen Horrorautoren mit ihrer Schreibe die Grenzen des Erträglichen erreichen. Dabei sollten sie mal Radcliffe lesen. Da gefriert einem noch heute das Blut in den Adern! Fielding hat übrigens mit der gelungenen Parodie Samuel Richardsons berühmtes Werk Pamela oder die belohnte Tugend durch den Kakao gezogen. Das Ironische an Fielding ist, dass er den größten Ruhm als Romanautor und Dramatiker erlangte, aber im Innersten seines Wesens war er ein echter Poet. Es hält sich das Gerücht, das sein beliebtestes Theaterstück, Leben und Tod von Tom Däumling, Jonathan Swift zum zweiten Mal im Leben ein Lachen entlockte.« Caleb kicherte. »Ich weiß nicht, was beim ersten Mal der Anlass war, aber ich habe ein paar Theorien.«
»Faszinierend«, sagte Seagraves, während sie die Straße entlangspazierten. »Nun, der Antiquar in Philly, der mir die Bände zugeschickt hat, behauptet im Begleitschreiben, dass es Erstausgaben sind, und er führt auch angeblich typische Kennzeichen und Merkmale an, aber ich muss dazu das Urteil eines Experten hören. Diese Bücher sind nicht billig.«
»Kann ich mir vorstellen. Also, ich schaue sie mir an, und falls ich Ihnen nichts Zuverlässiges sagen kann – was ich allerdings bezweifeln möchte, ohne zu laut ins Horn zu stoßen –, vermittle ich Ihnen Kontakt zu jemandem, der dazu imstande ist.«
»Mr. Shaw, mir fehlen die Worte. Sie ahnen nicht, wie sehr ich Ihre Hilfe zu würdigen weiß.«
»Bitte nennen Sie mich Caleb.«
In einem Imbiss auf der Independence Avenue, einen Häuserblock vom Madison Building entfernt, kaufte Caleb sich ein Sandwich, dann folgte er Seagraves zu einem Bürogebäude.
Der Vordereingang läge an einer Hauptverkehrsstraße, erklärte Seagraves, aber sie müssten den Hintereingang benutzen. »Im Foyer werden Reparaturen ausgeführt, da sind die Zustände katastrophal. Aber wir können mit einem Lift geradewegs zu meinem Büro hinauffahren.«
Während sie eine rückwärtige Gasse durchquerten, bestritt Seagraves eine fortlaufende Konversation über antiquarische Bücher und seine vorgebliche Hoffnung, eine ernst zu nehmende Büchersammlung anlegen zu können.
»Es braucht Zeit«, stellte Caleb klar. »Übrigens bin ich Mitinhaber eines Antiquariats in Old Town Alexandria. Sie sollten sich dort mal umschauen.«
»Das werde ich ganz gewiss.« Seagraves blieb vor einer Tür stehen, sperrte sie auf und bat Caleb hinein; dann schloss er sie von innen. »Der Aufzug ist gleich um die Ecke.«
»Gut. Ich glaube …«
Caleb konnte nicht mehr aussprechen, was er glaubte, denn er sank bewusstlos auf den Fußboden. Einen Moment verharrte Seagraves neben ihm, den Totschläger in der Faust, den er rechtzeitig griffbereit in einer Wandnische versteckt hatte. Gelogen hatte er nicht, was das Bürogebäude betraf. Das Foyer des Haupteingangs wurde wirklich renoviert; tatsächlich war sogar die Renovierung des gesamten Gebäudes fällig. Deshalb war es vor kurzem geschlossen worden, damit die Arbeiten in einer Woche aufgenommen werden konnten.
Seagraves fesselte und knebelte Caleb und legte ihn, nachdem er einen Ring von seinem rechten Mittelfinger gezogen hatte, in eine Kiste, die offen an der Mauer stand. Dann nagelte er den Deckel auf die Kiste und rief per Handy
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