Camel Club 02 - Die Sammler
»Entschuldigen Sie mal.« Eine Frau schubste Tony beiseite und wandte sich an die Kassiererin. Die Frau war groß und vollschlank, hatte blondes Haar mit dunklen Wurzeln, trug eine schicke Designerbrille am Kettchen, eine purpurrote Bluse und eine schwarze Freizeithose. Mit gedämpfter, jedoch fester Stimme redete sie auf die junge Frau hinter dem Kassenschalter ein. »Ich warte jetzt zehn Minuten, während Sie beide hier hemmungslos flirten. Ist das die Art von Service, den diese Bank bietet? Wollen wir mal Ihren Abteilungsleiter holen und ihn fragen, was er davon hält?«
Die Angestellte riss die Augen auf. »Tut mir leid, Ma’am, ich wollte gerade …«
»Ich weiß, was Sie wollten«, fiel die Frau ihr ins Wort. »Ich habe ja gehört, wie dieser Mann Ihnen sagte, Sie seien ein ›hübsches Wesen‹. Jeder hier in der Bank konnte hören, wie Sie geflirtet und Ihr Liebesleben diskutiert haben.«
Das Gesicht der Angestellten lief knallrot an. »Das ist nicht wahr, Ma’am.«
Die Frau stemmte die Hände auf den Kassenschalter und beugte sich vor. »Ach ja? Was war es dann, als Sie über Freunde und Las Vegas geredet haben und er Sie zum Essen eingeladen hat? Oder ging es da um Geschäftsvorgänge? Machen Sie das mit allen Kunden so? Möchten Sie auch mit mir darüber reden, mit wem ich in die Kiste steige?«
»Ich muss doch sehr bitten, Madam, ich …«
»Halten Sie den Schnabel! Mit dieser Bank bin ich fertig!« Die Frau drehte sich um und stapfte aus der Schalterhalle.
Tony war inzwischen verschwunden. Wenige Sekunden nach Erscheinen der Frau hatte Leo ihn aus der Bank geschmuggelt.
Eine Minute später stieß Annabelle im Lieferwagen zu ihnen. »Gib Gas, Freddy«, rief sie dem Fahrer zu, zerrte sich die blonde Perücke vom Kopf und steckte die Brille in die Handtasche. Dann zog sie die Bluse aus und riss die um die Taille geklebten Polster ab. Sie warf Tony den Ausweis zu, der ihn mit beschämter Miene auffing.
»Oh Mann«, rief er plötzlich, »die haben noch den Scheck …« Er verstummte abrupt, als er Annabelle den säuberlich gefalteten Scheck hochhalten sah. »Tut mir leid, Annabelle. Tut mir echt leid.«
Sie beugte sich zu ihm vor. »Kleiner Rat unter Freunden, Tony. Verguck dich nie in den Hammel, den du scheren willst, erst recht nicht, wenn du unter falschem Namen unterwegs bist.«
»Ich könnte den Scheck bei einer anderen Bank vorlegen …«, sagte Tony kleinlaut.
»Nichts da.« Annabelle schüttelte den Kopf. »Das ist das Risiko nicht wert.«
Zuerst wollte Tony widersprechen; dann lehnte er sich zurück und schwieg.
Leo und Annabelle wechselten einen Blick, ehe sie erleichtert aufatmeten.
Zwei Tage darauf klopfte Leo in dem gemieteten Unterschlupf an Annabelles Schlafzimmertür.
»Ja?«, rief sie.
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Klar.« Annabelle saß auf dem Bett und packte Kleidungsstücke in einen Rollkoffer.
»Drei Millionen«, sagte Leo andächtig. »Du nennst es einen kleinen Fisch, aber für die meisten Abzocker wäre das schon das ganz große Ding, Annabelle.«
»Jeder Abzocker mit ein bisschen Geschick hätte das geschafft. Ich hab bloß die Latte ein wenig höher gelegt.«
»Ein wenig? Drei Millionen geteilt durch vier ist nicht wenig.« Annabelle fixierte ihn mit scharfem Blick. »Klar, klar«, lenkte Leo rasch ein, »dein Anteil ist größer, weil es dein Plan war. Aber mir genügt mein Stück vom Kuchen, um ein paar Jahre lang die Puppen tanzen zu lassen.«
»Noch nicht. Erst holen wir uns die ganz dicke Knete. So war es abgemacht, Leo.«
»Na klar, aber denk noch mal darüber nach, ja?«
Annabelle stopfte ein Bündel Kleidung in den Rollkoffer. »Ich habe darüber nachgedacht. Als Nächstes kommt das ganz große Ding.«
Leo stand auf und befingerte eine kalte Zigarette. »Gut. Und was ist mit dem Schnösel?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Mit Freddy hab ich kein Problem, er leistet Spitzenarbeit. Aber der Bubi hätte uns beinahe den Hals gebrochen. Wärst du nicht zur Stelle gewesen …«
»Dann wäre ihm irgendwas eingefallen.«
»Nie und nimmer. Die Kassiererin hatte alles gerafft. Er war so blöd, ihr den verkehrten Ausweis zu geben. Was hätte ihm da noch einfallen können?«
»Hast du beim Abzocken nie einen Fehler gemacht, Leo? Lass mich überlegen. Ach ja … wie war das damals in Phoenix? Und in Jackson Hole?«
»Ja, ja, schon gut, aber da ging es nicht um ’ne Multi-Millionen-Dollar-Abzocke. So was ist mir nicht auf dem Präsentierteller
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