Camel Club 02 - Die Sammler
machte. Aus naheliegenden Gründen waren hier ausschließlich Bleistifte und lose Blätter erlaubt, und alle Besucher mussten vor dem Gehen die Hand- und Aktentaschen und ähnliche Behältnisse kontrollieren lassen.
Als die Tür des Lesesaals sich öffnete, hob Caleb den Blick und sah eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung näher kommen.
»Hallo, Caleb«, sagte die Frau, »ich habe eine Mitteilung von Kevin für Sie.«
Kevin Philips war kommissarischer Abteilungsleiter und nach DeHavens Tod vorerst für ihn eingesprungen. »Von Kevin?«, fragte Caleb. »Warum hat er nicht einfach angerufen oder eine E-Mail geschickt?«
»Ich glaube, er hat Sie anzurufen versucht, aber es war besetzt, oder Sie sind nicht an den Apparat gegangen. Und eine E-Mail wollte er aus irgendeinem Grund nicht schicken.«
»Tja, ich hatte bisher schon alle Hände voll zu tun.«
»Soviel ich weiß, geht es um etwas ziemlich Eiliges.« Die Frau reichte ihm einen Umschlag und ging. Caleb wollte sich an den Schreibtisch setzen, stolperte jedoch über eine geknickte Ecke der Fußmatte unter seinem Drehstuhl, fegte bei dem vergeblichen Versuch, sich festzuhalten, seine auf dem Schreibtisch abgelegte Brille herunter und trat darauf, sodass die Gläser barsten.
»Oh Mann, was bist du für ein Trampel!« Caleb hob die zertretene Brille auf und heftete den Blick auf den Umschlag. Nun konnte er die Mitteilung nicht mehr entziffern. Ausgerechnet jetzt musste ihm das passieren, wo es um etwas Dringendes ging!
»Sie sind schon öfters über die Matte gestolpert, Caleb«, merkte Jewell, die in der Nähe saß, freundlich an.
»Vielen Dank für den Hinweis«, antwortete Caleb durch zusammengebissene Zähne. Dann sah er zu ihr hinüber. »Dürfte ich mir für einen Moment Ihre Brille leihen, Jewell, damit ich diese Mitteilung lesen kann?«
»Kann sein, dass sie Ihnen nichts nutzt. Ich bin blind wie eine Fledermaus, wenn es ums Lesen geht.«
»Und ich wie ein Maulwurf.«
»Kann ich Ihnen die Mitteilung nicht einfach vorlesen?«
»Hmmm … Nein, lieber nicht, die Sache könnte … Sie wissen schon.«
»Sie könnte geheim sein, nicht wahr?«, flüsterte Jewell und klatschte in die Hände. »Wie aufregend!«
Sie überließ ihm ihre Brille. Caleb setzte sie auf, nahm an seinem Schreibtisch Platz und entzifferte die Mitteilung: Kevin Philips bat ihn, sich unverzüglich im Verwaltungsbüro einzufinden, das in einem besonders gesicherten Stockwerk des Gebäudes lag. Caleb runzelte die Stirn. Auf diese Weise war er noch nie in die Verwaltung bestellt worden. Er faltete die Mitteilung zusammen und schob sie in die Tasche.
»Danke, Jewell. Ich glaube, Sie und ich haben die gleichen Dioptrien.« Er reichte ihr die Brille zurück, machte sich innerlich auf alles gefasst und trat den Weg zur Verwaltung an.
Als Caleb das Abteilungsleiterbüro betrat, saß Kevin Philips mit einem Mann in dunklem Anzug zusammen. Philips stellte ihn Caleb als Jonathan DeHavens Rechtsanwalt vor.
»Mr. DeHaven hat testamentarisch verfügt, dass Sie zum literarischen Nachlassverwalter seiner Büchersammlung ernannt werden sollen, Mr. Shaw«, erklärte der Anwalt, zückte ein Dokument und reichte es Caleb. Außerdem händigte er ihm zwei Schlüssel und einen Zettel aus. »Der große Schlüssel passt zu Mr. DeHavens Hauseingang, der kleine zum Panzergewölbe im Keller, in dem die Bücher sich befinden. Die erste Zahl auf dem Zettel ist der Code für die Alarmanlage des Hauses, die zweite Zahl der fürs Panzergewölbe. Es hat ein Sicherheitsschloss sowie ein zusätzliches Zahlenschloss.«
Fassungslos betrachtete Caleb die Gegenstände, die er plötzlich in den Händen hielt. »Literarischer Nachlassverwalter …?«
»Jawohl, Caleb«, bekräftigte Philips. »Wenn ich recht verstanden habe, waren Sie Jonathan bei der Beschaffung so mancher Bände für seine Sammlung behilflich.«
»Ja«, bestätigte Caleb. »Er hatte den bibliophilen Geschmack und das nötige Kleingeld, um sich eine nette Privatbibliothek aufzubauen.«
»Offenbar hat er Ihre Unterstützung ganz außerordentlich zu würdigen gewusst«, sagte der Anwalt. »Das Testament legt fest, dass Sie unbeschränkten Zugang zu seiner Büchersammlung haben. Es soll nun Ihre Aufgabe sein, die Sammlung zu katalogisieren, den Wert zu taxieren und sie zu veräußern – ob in Teilen oder als Gesamtheit, liegt in Ihrem Ermessen. Die Einnahme wird mehreren Wohltätigkeitsorganisationen zufließen, die im Testament namentlich genannt
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