Camorrista
haben sie beschlossen, uns zu schützen«, sagte mein Vater, als ich ihm erklärte, dass der rauchende Typ vor dem Gittertor Salvo sei, mein Kollege, und kein Spion des Bankdirektors. »Dann kann ich ja wieder oben schlafen.«
»Nein«, habe ich ihm geantwortet. »Oben schlafe ich ein paar Tage lang.«
Seine Enttäuschung hielt nicht lange an, weil er schnell zu dem Schluss kam, dass ich als seine Tochter und als Polizistin einen zusätzlichen Schutz gegen Rechtsanwälte und Gläubiger darstelle, die auf Baggern anrücken könnten. Er ist zufrieden ins Kellergeschoss zurückgekehrt, zu seinen Geschäftsbüchern, seinen Quittungen und den Hunderten von Zeitungsausschnitten, die er in Fotoalben aufbewahrt, die alle grün sind.
Meine Mutter hat mich umarmt, ohne irgendetwas zu sagen.
Es gibt Abgründe, aus denen man nicht zurückkehrt, auch wenn sie nicht tiefer als einen Meter sind.
Am Donnerstag weckt meine Mutter mich um sieben Uhr mit dem schnurlosen Telefon in der Hand. Es ist ein altes Modell, schwer wie ein Ziegelstein, mit abgebrochener Antenne, nur noch durch Klebeband zusammengehalten.
Das Rauschen ist so stark, dass ich Mühe habe, Rejas Stimme zu erkennen.
»Dottor D’Intrò will mit dir sprechen, persönlich.« Ich lasse es mir dreimal wiederholen, aber nicht nur wegen des Rauschens. »Sie holen dich um halb zehn ab. Sieh zu, dass du fertig bist.«
Fertig.
Ich ziehe mich hinter dem Duschvorhang aus, um dem Anblick meiner Narben im Spiegel auszuweichen. Ich verzichte auf jedes Make-up auf und lasse die Haare von allein trocknen.
Nach dem Frühstück durchwühle ich die Medikamente meines Vaters und werfe eine halbe orangefarbene Pille ein. Hinter dem Rücken meiner Mutter. Wie er es gemacht hat.
Fertig.
Fertig, um zwanzig nach neun, vor dem Gittertor. Vom Kiosk an der Ecke kommt Salvo auf mich zu, gelassenen Schritts, die Zeitung unter dem Arm. Ein sehr weites korallenrotes Polohemd hat er sich, so gut es geht, in die Hose gestopft.
Er grüßt mich, ohne zu lächeln, hält mir gleich die Zeitung hin, schon einmal auseinandergefaltet und schlecht wieder zusammengelegt. Mein erster Gedanke ist, dass es um etwas geht, das mich betrifft. Der Kollege hebt die Augenbrauen, setzt sich seine Sonnenbrille auf und lässt den Blick über den ganzen Häuserblock schweifen.
»Die sind irrsinnig. Allesamt«, murmelt er.
Es war am Mittwochabend ungefähr um zehn. Von einem vorbeifahrenden Motorrad wurde ein schwarzer Müllsack gegen das Tor des Palazzo del Governatore geschleudert, am oberen Ende der Steigung, die man Sesca di Mare nennt, dort, wo auch die Staatsanwaltschaft und die Bezirksleitung der Antimafiabehörde ihre Büros haben. Hier arbeiten die Staatsanwältin Massacesi und Hauptkommissar D’Intrò.
Das Gleiche geschah zwanzig Minuten später auf dem Corso Due Sicilie, genau vor der Hausnummer 182. In Nummer 180 befindet sich das Happy Fish , das gerade wieder unter neuer Leitung eröffnet wurde. Dieses Paket jedoch war weiß, verschlossen mit einer Schleife und einem Band mit Kärtchen. Auf dem Kärtchen stand: »Für die Familien Matello und Di Domenico.«
Mehr oder weniger um halb elf wurde Dora Antoniolo, der Schwester von Renzo Antoniolo, die Riccardo Capuano hatte heiraten sollen, in ihrer Wohnung hinten im Hof des Vicolo Squadro ein Blumenstrauß und ein schweres, in dunkelrotes Packpapier eingeschlagenes Paket zugestellt.
Dora Antoniolo bekräftigte mehrmals, den Unbekannten, die ihr das Paket überbrachten, nicht in die Gesichter geschaut oder diese Gesichter vielleicht durch den Schock aus ihrem Gedächtnis gelöscht zu haben.
In dem großen Paket war eine Kühltasche, wie man sie zum
Picknick nimmt. Dora Antoniolo dachte, ein entfernter Verwandter, vielleicht einer von denen, die vor dreißig Jahren nach Amerika ausgewandert waren, habe möglicherweise nichts von dem Unglück, das dem armen Riccardo zugestoßen ist, erfahren und ihnen ein Hochzeitsgeschenk geschickt.
Doch echte Zusteller liefern niemals nach acht Uhr abends aus, und die Kühltasche war zu schwer, um leer zu sein.
In dem Paket, eingewickelt in bluttriefendes Metzgerpapier, war der Kopf von Daniele Mastronero, dem jüngsten und grausamsten Capozona, den das Viertel 167 je hatte.
Hinter den gesprungenen Gläsern seiner Pilotenbrille schienen die Augen vor Schreck noch lebendig, erzählt mir D’Intrò in der Minisuite im obersten Stock eines Hotels im EUR-Viertel, das riesig und diskret ist wie ein
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