Camorrista
meines, schaut dabei zum Fenster. »Los.«
»Der Meeresspiegel steigt, das passiert.«
»Genau. Und das bedeutet, dass viele von uns vom Wasser fortgerissen werden und alles verlieren.«
»Sie als Erster.«
»Als Erster oder als Letzter, das scheint mir nicht wichtig. Und es ist nicht an Ihnen zu urteilen.«
»Ich verstehe. Sie tun es nur zum Besten Ihrer Tochter.«
»Sie haben keine Kinder, oder?« Er fragt mich das, als wüsste er die Antwort. Und da er sie weiß, wartet er sie nicht einmal ab.
»Wenn Sie welche hätten, würden Sie verstehen, was es heißt, wenn Sie sehen, wie Ihre fünfzehnjährige Tochter vor dem Spiegel zu einem Skelett wird, jeden Tag mehr, als hätte sie sich selbst in ein Konzentrationslager eingeschlossen.«
Er umfasst meine Ellbogen immer fester.
»Sie würden verstehen, was es heißt, wenn ein Kollege einen mitten in der Nacht mit der Mitteilung anruft, dass sie in einem gewissen Nachtclub eine Delegation von Kolumbianern bei ihren Verhandlungen mit ein paar wichtigen Leuten der Scurante geschnappt haben und dass die, um sich den Abend zu verschönern, auch drei oder vier Mädchen mitgebracht hatten, vollgepumpt mit Koks und Amphetaminen, eins davon nicht mal volljährig, und eins, nun ja, der Kollege redet ein bisschen um den heißen Brei herum, schämt sich fast für mich - aber leider ist es sicher, dass sie es ist.«
Seine Finger tun mir langsam weh.
»Vor zwei Monaten komme ich von einer Dienstreise aus dem Ausland zurück, und Raffaela erzählt mir, sie habe meine Frau mit einem Mann im Bett überrascht. Sie zeigt mir sogar Männerkleidung, die nicht mir gehört, rät mir, das Handy von ›der‹ zu überwachen. Sie sagt, ›die‹ wolle ihr Leben und ihre Karriere ruinieren, sie sei eifersüchtig und wolle, dass sie fett und hässlich wird, damit auch ich sie nicht mehr gern hätte. Die Wahrheit ist, dass meine Frau auf jede nur mögliche Art versucht hat, sie zum Essen zu bewegen, kontrolliert hat, dass sie nicht alles erbricht, und ihr verboten hat, zu einem Casting zu gehen, weil sie sich buchstäblich nicht auf den Beinen halten konnte. Und soll ich Ihnen etwas sagen? Als Raffaela sich an mich geschmiegt und mir gesagt hat, dass ich der Einzige auf der Welt sei, der sie liebt und ihr helfen kann, ich schwöre Ihnen, da war ich versucht, ihren Blödsinn zu glauben. Eine halbe Minute lang, nicht länger. Aber diese halbe Minute sagt alles, verstehen Sie?«
Er entfernt sich mit einem kaum hörbaren Seufzen von mir.
»Ich bin es gewöhnt, selbst zu entscheiden, wie ich einen Menschen schütze, der mir nahesteht. Ich habe versucht, es auch bei Ihnen zu tun, das können Sie mir glauben.«
Ich habe das Gefühl, dass einer wie er kein Verständnis will. Und dass die beste Art, ihn nicht zu beleidigen, darin besteht, ihn weiter nach Erklärungen, nicht nach Rechtfertigungen zu fragen.
»Und das Attentat der falschen Polizisten, war das auch eine Art, mich zu beschützen?«
»Sie hätten Ihnen kein Haar gekrümmt, da können Sie beruhigt sein. Es war Mastronero, den sie wollten.«
»Und unter dem Deckmantel, mir zu helfen, hätten Sie ihn denen ausgeliefert.«
D’Intrò dreht sich ruckartig um.
»Damit sie aufhören zu schießen, Kinder auf der Straße zu ermorden, die Parks mit Leichen zu füllen, weil sie den Stoff mit Waschpulver verschneiden, damit es einen Moment Waffenstillstand in diesem ganzen Elend gibt … Natürlich liefere ich ihn aus, einen wie den. Hat er Nunzia und Caterina vielleicht nicht umgebracht? Antworten Sie! Er war es doch, oder nicht? Jetzt sind auch Sie davon überzeugt, oder? Und, wo ist das Problem? Wer weint um einen wie den? Sie? Sind Sie wirklich so naiv? Nur weil er Ihnen ein bisschen was vorgespielt hat? Der arme Sohn einer Drogensüchtigen, vaterlos … weil er Ihnen gesagt hat, dass er sich ändern will, sich vielleicht sogar in Sie verknallt hat? Ja sicher! Weil Sie die Einzige waren, die seinen Arsch retten konnte. Er hat Sie benutzt, verstehen Sie?«
Das weiß ich gut, und ich verstehe es. Cocíss’ Plan ist aufgegangen, aber nicht bis zum Schluss, und das ist für mich der Punkt. Mein Plan auch nicht, doch jetzt wollen sie mich umbringen. Und warum? Welche Gefahr stelle ich jetzt für sie dar? Ich habe Erklärungen, einen ganz eigenen Film, doch ich beschließe, dass dieser Mann, der Mythos, der große D’Intrò
es nicht wert ist, davon zu erfahren, jedenfalls nicht jetzt. Also beschließe ich zu schweigen und warte, bis der
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