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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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halb elf gehe ich rein, nachdem ich nur ein Mal geklopft habe. Die Luft ist dick, fast beißend. Ich stelle das Tablett mit dem Kaffee und dem Zwieback ab, gehe zum Fenster und reiße es weit auf. Ich mache so viel Lärm wie möglich, schlage die Fensterläden gegen die Wand.
    Cocíss gibt ein Brummen von sich und dreht sich um. Seine Brille hat sich auf die Stirn geschoben, das Gesicht ist ins Kissen gedrückt.
    »Heute Morgen gibt es Zimmerservice, aber gewöhn dich nicht daran.«
    Ich hebe die Aprikose auf und lege sie aufs Tablett, ziehe das doppelt gefaltete Papier hervor und falte es auseinander. In irgendeiner Tasche habe ich bestimmt was zu schreiben. Mit dem Fuß schiebe ich die Tasche neben das Bett.

    »Geh dich ein bisschen frisch machen. Eine Viertelstunde, und dann lasse ich dich in Frieden.«
    Er öffnet mit der falschen Gleichgültigkeit eines Alligators ein Auge.
    »Du musst aufstehen. Hast du das verstanden oder nicht?«, lasse ich nicht locker und versetze dem Bett einen Tritt.
    Er kauert sich zusammen und schnaubt. Noch ein kleiner Tritt, und ich merke, dass er langsam nervös wird.
    »Es ist halb elf, los.«
    Er hebt die Schultern und dreht gerade mal den Kopf langsam um. Bevor er die Sonnenbrille wieder vor die Augen schiebt, sehe ich kurz eine der Narben, für die er berühmt ist, wie ein heller Eidechsenschwanz auf der solariumgebräunten Haut. Er bewegt beim Sprechen nicht mal die Lippen. In einem nasalen Dialekt knurrt er mich an, ruhig zu sein und ihm einen zu blasen.
    (Ich darf nicht aggressiv sein), doch diesmal bringe ich den ganzen Sprungrahmen unter der Matratze zum Vibrieren.
    Er wendet sich ruckartig um und wirft mit dem Kissen, zielt mitten auf das Tablett, und aus der Tasse spritzt es bis zur Fensterbank.
    Mir bleibt keine Zeit, einen Finger zu rühren. Der kleine Bastard steht auf, stürzt sich auf das Fenster, und in null Komma nichts sitze ich in der Scheiße.
    Er macht Anstalten, es zu schließen, stoppt dann aber mittendrin, als hätte er es sich anders überlegt. Er bleibt einen Moment am Fenstergriff hängen, dann geht er schlagartig zu Boden und zieht eine der Fensterblenden mit sich. Ich weiche im letzten Augenblick zurück.
     
    Wenn ein Krankenwagen kommt, sehen es alle.
    Padre Jacopo war sich sicher, dass es unter den verbliebenen Mönchen einen ehemaligen Arzt gibt, doch der kleine mürrische Franzose hat diesmal gemauert. Und er hat auch den Schlüssel vom Friedhof von mir zurückverlangt (er wird ihn zu gegebener Zeit wiederbekommen, habe ich ihm geantwortet).

    Daniele Mastronero hat im Moment keinen Nachweis einer Krankenversicherung, und ich hänge mich ans Telefon mit Reja, während der Arzt bei Cocíss im Zimmer ist. Reja ist stinksauer (ja wie, ist das vielleicht meine Schuld?) und gibt Anweisung, ihn auf gar keinen Fall in ein Krankenhaus bringen zu lassen, dem Arzt irgendeinen falschen Namen anzugeben und mir zu notieren, für welchen Wohlfahrtsverband der Krankenwagen fährt.
    Als der Arzt herauskommt, bin ich allein auf dem Gang, weil Padre Jacopo in der Zwischenzeit wegmusste, um einen Streit über den Putzplan für die Gänge und Treppen zu schlichten.
    »Sind Sie eine Verwandte?«
    »Nein, ich bin die zuständige Sozialarbeiterin.« (Reja wäre nicht einverstanden, aber ich schaffe es nicht, mich als Schwester von dem da auszugeben.) »Sie können mir sagen, was los ist.«
    Er lässt sich in dem Holzsessel nieder und fängt an, ein Formular auszufüllen.
    »Sie wissen, dass er drogenabhängig ist?«
    Mir fällt ein, was der Psychologe und sein Capopiazza Madonnino gesagt haben.
    »Ja.«
    »Schnupfen, eitriger Ausfluss. Scheint mir Kokain zu sein.«
    Ich bestätige das.
    »Er hat Entzugserscheinungen.«
    Schöner Mist. Und ich muss alles ausbaden.
    »Ich habe ihm ein leichtes Antidepressivum gegeben, ein Benzodiazepin. Ich lasse Ihnen ein paar Tabletten da. Eine halbe dürfte ihm für acht Stunden genügen. Und dann diese Beutel hier, das sind Vitamine. Dann noch dieses Aufbaumittel, dafür braucht man kein Rezept.«
    Er kritzelt irgendwas auf ein Formular, das ich als »Kollaps wegen Drogensucht« entziffere.
    »Achten Sie darauf, dass er isst. Im Moment würde ich
sonst nichts tun, außerdem wissen Sie besser als ich, wie man ihn behandeln muss. Er sollte eingehend untersucht werden, ein paar Tests sind notwendig.«
    (Und was soll ich mir jetzt ausdenken?) Ich sage ihm, er sei gerade erst angekommen, dann unterbricht er zum Glück meine Erklärung,

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