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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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wollten, verdienen heute doppelt so viel in der Werbung oder beim Fernsehen. Heutzutage hat jeder die Möglichkeit, sich zu prostituieren. Wenn alle Stricke reißen, kann man immer noch Gewerkschaftsfunktionär werden.«
    »Hm. Was essen Sie da eigentlich?«
    »Truite braisée au pupillin.«
    Er winkte einem schwarzuniformierten Kellner und bestellte eine Portion.
    »Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Sie nur das Geld gereizt hat«, sagte ich und goß ihm Chablis ein.
    »Ich trinke keinen Alkohol. Nein, es war eigentlich nicht das Geld.«
    »Welches Hauptfach hatten Sie, Schipansky? Biophysik, nicht wahr? Haben Sie dieses Fach niemals um seiner selbst willen gemocht?«
    Jetzt stürzte er doch ein halbes Glas Wein hinunter. »Und ob! Es gibt nichts, was ich mehr liebe! Manchmal kann ich einfach nicht verstehen, daß nicht jeder so empfindet wie ich. Manchmal lasse ich mich davon so überwältigen, daß ich ... daß ich ...«
    »Mir geht es mit der Dichtung genauso. Eigentlich mit allen schönen Künsten, aber besonders mit der Dichtung.«
    »Und was bedeuten Ihnen die Menschen?«
    »Die kommen danach.«
    »Gilt das auch für Ihre Frau? Ich meine, wenn Sie sich entscheiden müßten.«
    »Es gilt sogar für mich selbst, wenn ich mich entscheiden müßte. Jetzt fragen Sie sich bestimmt, wieso ich mir dann anmaße, Ihnen Moralpredigten zu halten.«
    »Ja.«
    »Sehen Sie, ich habe jetzt nur von Empfindungen gesprochen. Moralische Kriterien gelten für das, was man tut. Fühlen und handeln sind zwei verschiedene Dinge.«
    »Ist dann die Kunst eine Sünde? Und die Naturwissenschaft auch?«
    »Jede maßlose Liebe, ausgenommen die Liebe zu Gott, ist sündhaft. Dantes Höllenkreise oberhalb von Dis wimmeln von Verdammten, die angenehme Dinge ein wenig mehr als erlaubt geliebt haben.«
    Schipansky wurde verlegen. »Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, Mr. Sacchetti, aber ich glaube nicht an Gott.«
    »Ich auch nicht mehr. Aber da ich ziemlich lang an ihn geglaubt habe, werden Sie verstehen, daß er sich manchmal in meine Argumente einschleicht.«
    Schipansky gluckste. Einen Augenblick lang sah er mir in die Augen, dann senkte sich sein Blick wieder auf den Teller. Jetzt wußte ich, daß er angebissen hatte.
    Welche Karriere hätte ich gemacht, wenn ich Jesuit geworden wäre! Abgesehen von einer waschechten Verführung ist nichts reizvoller, als einen anderen Menschen zu bekehren.

    Später
    Ich muß jetzt den größten Teil des Tages damit verbringen, im Dunkeln Musik zu hören. Wie lästig mir dieses körperliche Versagen ist!

    48.
    Unaufgefordert erschien er heute in meinem düsteren Zimmer und erzählte mir seine Lebensgeschichte. Ich hatte den Eindruck, daß er nie zuvor darüber gesprochen hatte. Wahrscheinlich hat sich noch nie jemand dafür interessiert. Und es ist tatsächlich eine ziemlich langweilige Geschichte - genauso farblos, wie man sie allein schon nach den Krawatten, die er trägt, von ihm erwartet.
    Als Kind geschiedener Eltern hatte Sch. eine unstete Jugend. Er blieb fast nie länger als zwei Jahre in derselben Schule. Obwohl er ohne Zweifel intelligent war, hatte er das Pech, immer nur der Zweitbeste in der Klasse zu sein. So wurde er übertrieben ehrgeizig und arbeitete hart, um das zu erreichen, was seinen Rivalen mühelos zufiel. Freundschaften gab es für ihn nicht, weil sie Waffenstillstand bedeutet hätten. Sch. ist sich bewußt, daß er seine Jugend falschen Idealen geopfert hat. Aber jetzt, nachdem er seine Jugend vergeudet hat, opfert er auch den Rest seines Lebens falschen Idealen.
    Er ist 24, erweckt aber, wie alle naturwissenschaftlich orientierten Streber, den Eindruck, als sei er nie über die Entwicklungsjahre hinausgekommen. Er ist dünn und schlaksig, hat ein blasses Gesicht voller Pickel, und sein Haar ist etwas zu lang, als daß man von Bürstenschnitt sprechen könnte, und etwas zu kurz, um glatt am Kopf anzuliegen. Seine wäßrigen Augen wirken melancholisch, erwecken aber kein Mitleid, vielleicht deshalb nicht, weil er eine Brille im McNamara-Stil trägt. Er hat die Angewohnheit, den Mund zu spitzen, bevor er redet. Dann sieht er richtig sauertöpfisch aus - kein Wunder, denn gegen alles, was natürliche Lebensfreude ausstrahlt, ist er so allergisch wie Savonarola. Kraft, Schönheit, Gesundheit, ja sogar Ausgewogenheit empfindet er als persönliche Beleidigung. Wenn sich seine Kollegen Sportsendungen ansehen, geht er aus dem Zimmer. Auf Typen wie Fredgren, die überhaupt nur

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