Camus, Albert
man müsste ihm auch das zweite entreißen können …»
Sade sinnt auf das Attentat gegen die Schöpfung: «Ich verabscheue die Natur … Ich möchte ihre Pläne verwirren, ihr in den Lauf fallen, das Rad der Gestirne anhalten, die Himmelskörper umwerfen, die im Raum schweben, zerstören, was sie unterstützt, schützen, was ihr schadet, mit einem Wort: sie in ihren Werken beschimpfen, und es gelingt mir nicht.» Wie sehr er sich auch einen Mechaniker ausdenkt, der das Weltall zerschmettern könnte, weiß er doch, dass im Staub der Welten das Leben weitergehen wird. Das Attentat gegen die Schöpfung ist unmöglich. Man kann nicht alles zerstören, ein Rest bleibt immer übrig. «Es gelingt mir nicht …», diese unbarmherzige eiskalte Welt entspannt sich plötzlich in einer entsetzlichen Melancholie, durch die uns Sade endlich rührt, wenn er es nicht will. «Wenn das Verbrechen an der Liebe unserer Leidenschaftsstärke nicht mehr angemessen ist, könnten wir vielleicht die Sonne angreifen, sie dem Weltall rauben oder uns ihrer bedienen, um die Welt in Brand zu stecken; das wären noch Verbrechen, das …» Ja, das wären Verbrechen, aber nicht das endgültige Verbrechen. Man muss noch weiter gehen; die Henker messen sich mit einem Blick.
Sie sind allein, ein einziges Gesetz beherrscht sie, das der Macht. Da sie es annahmen, als sie die Herren waren, können sie es nicht mehr verwerfen, wenn es sich gegen sie wendet. Jede Macht sucht allein und einzig zu sein. Man muss immer noch töten, die Herren zerfleischen sich nun ihrerseits. Sade sieht diese Konsequenz und weicht nicht vor ihr zurück. Ein seltsamer Stoizismus des Lasters erhellt ein bisschen diese Niederung der Revolte. Er sucht nicht, die Welt der Zärtlichkeit und des Kompromisses wiederzugewinnen. Die Zugbrücke wird nicht herabgelassen, er nimmt die persönlicheVernichtung an. Die entfesselte Kraft der Verweigerung geht am äußersten Ende über in eine bedingungslose Annahme, die nicht ohne Größe ist. Der Herr willigt ein, seinerseits Sklave zu sein, vielleicht wünscht er es sogar. «Auch das Schafott wäre mir ein Thron der Wollust.»
Die größte Zerstörung fällt dann mit der stärksten Bejahung zusammen. Die Herren fallen übereinander her, und jenes zum Ruhm der Ausschweifung errichtete Werk ist «übersät mit Leichen Ausschweifender, hingestreckt auf dem Gipfel ihres Genies» 11 . Der Mächtigste, der überlebt, wird der Einsame, der Einzige sein, dessen Verherrlichung Sade unternommen hat; er selbst letzten Endes. Nun herrscht er endlich als Herr und Gott. Doch im Augenblick seines höchsten Sieges zerrinnt der Traum. Der Einzige wendet sich zum Gefangenen, dessen maßlose Einbildungskraft ihm das Leben gegeben hat; er verschmilzt mit ihm. Er ist in der Tat allein, gefangen in einer blutbefleckten Bastille, die rund um ein ungestilltes Lustschwelgen erbaut ist, das nun kein Objekt mehr hat. Er triumphierte nur im Traum, und die Dutzende von Büchern voller Grausamkeiten und Philosophie fassen eine unglückliche Askese, einen halluzinierenden Gang vom völligen Nein zum absoluten Ja zusammen, schließlich eine Zustimmung zum Tod, der den Mord von allem und allen umwandelt in kollektiven Selbstmord.
Man hat Sade in effigie hingerichtet, gleicherweise hat er nur in der Einbildung getötet. Prometheus endet mit Onan. Er beschließt nun sein Leben, immerfort ein Gefangener, in einem Asyl, Stücke spielend auf einer behelfsmäßigen Bühne inmitten Geistesgestörter. Für die Befriedigung, welche ihm die Weltordnung nicht verschaffte, geben ihm der Traum und seine Schöpfung einen lächerlichen Ersatz. Der Schriftstellerbraucht sich selbstverständlich nichts zu versagen. Für ihn wenigstens stürzen die Grenzen ein, und die Begierde kann bis ans Ende gehen. Darin ist Sade der vollkommene Schriftsteller. Er hat eine Fiktion aufgebaut, um sich die Illusion seines eigenen Seins zu geben. Über alles stellte er «das geistige Verbrechen, zu dem man auf schriftlichem Wege gelangt». Sein unbestreitbares Verdienst ist es, auf den ersten Schlag, mit der unglückseligen Klarsicht einer aufgehäuften Wut, die äußersten Konsequenzen einer Logik der Revolte beleuchtet zu haben, wenn diese die Wahrheit ihrer Ursprünge vergisst. Diese Konsequenzen sind das schrankenlose Verbrechen, die Aristokratie des Zynismus und der Wille zur Apokalypse. Viele Jahre nach ihm wird man ihnen wieder begegnen. Aber nachdem er sie genossen hat, scheint er in seinen
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