Camus, Albert
eigenen Sackgassen erstickt zu sein und sich in der Literatur nur Luft geschafft zu haben. Sonderbarerweise hat gerade Sade die Revolte auf die Bahn der Kunst gelenkt, wo die Romantik sie noch weiter vortreiben wird. Er ist einer der Schriftsteller, von denen er sagt, dass «die Korruption so gefährlich ist, dass sie mit der Veröffentlichung ihrer fürchterlichen Systeme nur das Ziel verfolgen, die Summe ihrer Verbrechen über ihr Leben hinaus zu verbreiten; sie können keine mehr begehen, aber ihre fluchwürdigen Schriften werden solche begehen machen, und diese süße Vorstellung, die sie ins Grab mitnehmen, tröstet sie über den Zwang, in den sie der Tod versetzt, auf das zu verzichten, was ist». Sein Werk im Zeichen der Revolte bezeugt so seinen Drang des Fortlebens. Selbst wenn die Unsterblichkeit, die er begehrt, diejenige Kains ist, begehrt er sie dennoch und zeugt wider Willen für das Wahrste der metaphysischen Revolte.
Im Übrigen nötigt gerade seine Nachkommenschaft dazu, ihm Ehre zu erweisen. Nicht alle seine Erben sind Schriftsteller. Sicherlich hat er gelitten und ist gestorben, um dieEinbildungskraft der besseren Wohnviertel und der Literatencafés zu erhitzen. Aber das ist nicht alles. Sades Erfolg in unserer Zeit erklärt sich durch einen Traum, den er mit der zeitgenössischen Sensibilität gemeinsam hat: die Forderung nach totaler Freiheit und die Entmenschlichung, vom Intellekt kalt durchgeführt. Die Erniedrigung des Menschen zum Versuchsobjekt, die Satzung, die die Beziehungen regelt zwischen dem Willen zur Macht und dem Menschen als Objekt, der abgeschlossene Bezirk der schauerlichen Versuche sind Lehren, welche die Theoretiker der Macht beherzigen werden, wenn sie das Zeitalter der Sklaven zu organisieren haben.
Zwei Jahrhunderte im Voraus hat Sade die totalitäre Gesellschaft in verkleinertem Maßstab gefeiert im Namen einer von Sinnen geratenen Freiheit, welche die Revolte in Wirklichkeit nicht fordert. Mit ihm beginnt tatsächlich die zeitgenössische Geschichte und Tragödie. Er hat nur geglaubt, eine auf der Freiheit des Verbrechens gegründete Gesellschaft sollte sich vertragen mit der Freiheit der Sitten, als hätte die Knechtschaft ihre Grenzen. Unsere Zeit hat sich beschränkt, seinen Traum einer universalen Republik und seine Technik der Erniedrigung seltsam zu verbinden. Schließlich hat, was er am meisten gehasst, der gesetzmäßige Mord sich die Entdeckungen angeeignet, die er in den Dienst des Mordes aus Instinktantrieb stellen wollte. Das Verbrechen, das nach seinem Wunsch die außergewöhnliche und köstliche Frucht des entfesselten Lasters sein sollte, ist heute nicht mehr als die stumpfe Gewohnheit einer nun polizeimäßigen Tugend. Das sind die Überraschungen der Literatur.
Die Revolte der Dandys
Aber noch gehört die Stunde den Schriftstellern. Die Romantik mit ihrer luziferischen Revolte dient in Wirklichkeit nur den Abenteuern der Phantasie. Wie Sade unterscheidet sie sich von der antiken Revolte durch die Vorliebe für das Böse und das Individuum. Indem sie das Schwergewicht auf ihre Kraft der Herausforderung und der Verweigerung legt, vergisst die Revolte in diesem Stadium ihren positiven Inhalt. Da Gott in Anspruch nimmt, was im Menschen Gutes ist, muss man dies Gute lächerlich machen und das Böse wählen. Der Hass des Todes und der Ungerechtigkeit führt somit wenn nicht zur Ausübung, so doch zur Verteidigung des Bösen und des Mords.
Der Kampf Satans mit dem Tod im ‹Verlorenen Paradies›, dem bevorzugten Gedicht der Romantiker, symbolisiert dieses Drama, und umso tiefer, als der Tod (zusammen mit der Sünde) das Kind Satans ist. Um das Böse zu bekämpfen, verzichtet der Revoltierende, weil er sich unschuldig dünkt, auf das Gute und erzeugt von neuem das Böse. Der romantische Held vollzieht zuerst die tiefe und sozusagen religiöse Vermischung von Gut und Böse 12 . Dieser Held ist schicksalhaft, weil das Schicksal Gut und Böse vermengt, ohne dass der Mensch sich dagegen verteidigen kann. Das Schicksal schließt die Werturteile aus. Es ersetzt sie durch ein ‹So ist es›, das alles entschuldigt, ausgenommen den Schöpfer, den einzig Verantwortlichen dieses skandalösen Tatbestandes. Der romantische Held ist auch schicksalhaft, denn im Maße, wie er an Kraft und Genie zunimmt, wächst die Macht des Bösen in ihm. Jede Macht, jedes Übermaß wird dann vom ‹So ist es› gedeckt. Dass der Künstler, der Dichter besonders,dämonisch sei, dieser
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