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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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ihm widerspricht diesem frommen Traum. Er ist kein Freund des Menschengeschlechts, er hasst die Philanthropen. Die Gleichheit, von der er manchmal spricht, ist ein mathematischer Begriff: Die Gleichwertigkeit der Objekte, die die Menschen sind, die verächtliche Gleichheit des Opfers. Wer seine Begierde auf die Spitze treibt, muss alles beherrschen, seine wahre Erfüllung liegt im Hass. Sades Republik hat nicht die Freiheit zum Prinzip, sondern die Ausschweifung. «Die Gerechtigkeit»,schreibt dieser sonderbare Demokrat, «hat keine reale Existenz. Sie ist die Gottheit aller Leidenschaften.»
    Nichts ist in diesem Betracht aufschlussreicher als die berühmte Schrift, die Dolmancé in der ‹Philosophie des Boudoirs› vorliest und die den seltsamen Titel trägt: «Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt.» Pierre Klossowski 9 unterstreicht es mit Recht: Diese Schrift beweist den Revolutionären, dass ihre Republik auf der Ermordung des Königs von Gottes Gnaden beruht und dass sie durch die Hinrichtung Gottes am 21. Januar 1793 für alle Zeit das Recht verwirkt haben, das Verbrechen zu verfolgen und die bösen Instinkte zu unterdrücken. Die Monarchie hielt zu gleicher Zeit mit sich selber die Vorstellung eines Gottes aufrecht, der die Gesetze begründet. Die Republik erhält sich ganz allein aufrecht, die Sitten müssen in ihr ohne Befehle auskommen. Es ist indes zweifelhaft, ob Sade, wie Klossowski annimmt, zutiefst das Gefühl eines Sakrilegs gehabt hat und ob dieser gleichsam religiöse Abscheu ihn zu den Konsequenzen getrieben hat, die er verkündet. Viel eher geht er von seiner Konsequenz aus und stößt erst danach auf das Argument zur Rechtfertigung der absoluten Sittenfreiheit, die er von der Regierung seiner Zeit fordern wollte. Die Logik der Leidenschaften kehrt die überlieferten Denkschritte um und setzt die Folgerung vor die Voraussetzung. Um sich davon zu überzeugen, muss man nur die bewundernswerte Abfolge von Sophismen zu würdigen wissen, durch welche Sade in diesem Text die Verleumdung, den Diebstahl und den Mord rechtfertigt und ihre Duldung im neuen Staat verlangt.
    Und dennoch geht gerade dann sein Denken am tiefsten. Mit einer für seine Zeit außergewöhnlichen Klarsicht verwirft er die anmaßende Verbindung von Freiheit und Tugend.Die Freiheit, vorab als der Traum eines Gefangenen, kann keine Grenzen ertragen. Sie ist Verbrechen, oder sie ist nicht mehr Freiheit. In diesem wesentlichen Punkt hat Sade niemals geschwankt. Er, der nichts als Widersprüche gepredigt hat, ist von absoluter Folgerichtigkeit, was die Todesstrafe anlangt. Der Freund raffiniertester Hinrichtungen, der Theoretiker des Sexualverbrechens konnte nie das gesetzliche Verbrechen ertragen. «Meine Haft mit dem ständigen Blick auf die Guillotine hat mir mehr angetan als alle denkbaren Bastillen zusammen.» Aus diesem Abscheu schöpfte er den Mut, in der Öffentlichkeit während der Terrorherrschaft gemäßigt zu sein und großherzig für eine Schwiegermutter einzutreten, die ihn doch hatte einsperren lassen. Einige Jahre später fasste Nodier, vielleicht ohne es zu ahnen, Sades hartnäckig verteidigte Stellung klar zusammen: «Einen Menschen im Rasen der Leidenschaft zu töten, das kann man begreifen. Ihn jedoch durch einen andern töten zu lassen in der Ruhe des ernsthaften Nachdenkens und unter dem Vorwand eines ehrenwerten Staatsdienstes, das kann man nicht begreifen.» Man findet hier den Ansatz eines Gedankens, der auch noch von Sade entwickelt wird: Wer tötet, soll dafür mit seiner Person bezahlen. Sade, wie man sieht, ist moralischer als unsere Zeitgenossen.
    Aber sein Hass auf die Todesstrafe ist zuerst nur der Hass auf Menschen, die fest genug an ihre und ihrer Sache Tugend glauben, um endgültig strafen zu können, während sie selbst Verbrecher sind. Man kann nicht zugleich das Verbrechen für sich und die Strafe für die andern wählen. Man muss die Gefängnisse öffnen oder den unmöglichen Beweis seiner Tugend erbringen. Vom Augenblick an, da man den Mord, sei es auch nur ein einziges Mal, duldet, muss man ihn allenthalben zulassen. Der Verbrecher, der seiner Natur gemäß handelt, kann nicht ohne Pflichtvergessenheit sich aufseiten des Gesetzesstellen. «Noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt» heißt: «Anerkennt die einzig vernünftige Freiheit des Verbrechens und tretet für immer in den Aufstand, wie man in die Gnade tritt.» Die Unterwerfung unter das Böse

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