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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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uns, und so fest umspannt, dass wir unsere Probleme nicht mehr selbst wählen können. Die Probleme wählen uns, eins nach dem andern. Willigen wir ein, gewählt zu werden. Dieser Essay stellt sich die Aufgabe, angesichts des Mordes und des Protestes eine Überlegung, ausgehend vom Selbstmord und dem Begriff des Absurden, weiterzuführen.
    Aber diese Überlegung liefert uns im Augenblick nur einen einzigen Begriff, den des Absurden. Und dieser bringt, was das Problem des Mordes betrifft, nur einen Widerspruch mit sich. Wenn man aus dem Gefühl des Absurden zunächst eine Regel für das Handeln abzuleiten beabsichtigt, macht es den Mord zum mindesten indifferent und infolgedessen möglich. Wenn man an nichts glaubt, wenn nichts einen Sinn hat und wenn wir keinen Wert bejahen können, ist alles möglich und nichts von Wichtigkeit. Ohne Für und Wider hatder Mörder weder unrecht noch recht. Man kann die Verbrennungsöfen schüren, so wie man sich der Pflege Leprakranker widmet. Bosheit und Tugend sind Zufall oder Laune.
    Man beschließt also, gar nicht zu handeln, was zum mindesten darauf hinausläuft, den Mord des andern hinzunehmen, wenn auch nicht auf die wohllautende Klage über die Unvollkommenheit des Menschen zu verzichten. Oder man denkt sich aus, die Tat durch den tragischen Dilettantismus zu ersetzen, in diesem Fall wird das Leben zum Einsatz eines Spieles. Schließlich kann man sich vornehmen, eine Tat zu tun, die nicht grund- und zwecklos ist. Dabei wird man sich – mangels eines höheren, die Handlung leitenden Wertes – in der Richtung der unmittelbaren Wirksamkeit bewegen. Da nichts wahr oder falsch, gut oder böse ist, bestünde die Regel darin, sich als der Wirksamste, d. h. der Stärkste zu erweisen. Die Welt wäre dann nicht mehr in Gerechte und Ungerechte geteilt, sondern in Herren und Knechte. Wohin man auch blickt, hat der Mord im Herzen der Verneinung und des Nihilismus einen Vorzugsplatz.
    Wenn wir also danach streben, uns in der absurden Haltung einzurichten, müssen wir uns darauf vorbereiten zu töten, indem wir so der Logik den Vortritt lassen vor Bedenken, die wir für gegenstandslos halten. Sicher bedarf es dazu einiger Anlage. Aber nach der Erfahrung zu urteilen, im Ganzen weniger, als man glaubt. Übrigens ist es, wie man es gewöhnlich sieht, immer möglich, töten zu lassen. Alles wäre also im Sinne der Logik geregelt, wenn die Logik dabei wirklich auf ihre Kosten käme.
    Aber die Logik kann nicht auf ihre Kosten kommen bei einer Handlung, die es ihr deutlich macht, dass der Mord abwechselnd möglich und unmöglich ist. Denn nachdem sie den Akt des Tötens zum mindesten als indifferent hingestellthat, verurteilt die absurde Analyse ihn am Schluss in ihrer wichtigsten Konsequenz. Der letzte Schluss der absurden Argumentation ist in der Tat die Verwerfung des Selbstmordes und die Erhaltung jener hoffnungslosen Kluft zwischen der Frage des Menschen und dem Schweigen der Welt. 2 Der Selbstmord käme der Schließung dieser Kluft gleich, und die absurde Überlegung ist der Ansicht, dem nur zustimmen zu können, wenn sie ihre eigenen Prämissen verleugnet. Eine solche Schlussfolgerung wäre, von ihr aus gesehen, Flucht oder Selbstbefreiung. Aber es ist klar, dass im gleichen Zug diese Überlegung das Leben als das einzig notwendige Gut anerkennt, weil gerade es diese Kluft erzeugt, andernfalls der Spieleinsatz des Absurden keine Deckung hätte. Um sagen zu können, dass das Leben absurd ist, muss das Bewusstsein Leben haben. Wie, ohne erhebliche Konzession an den Hang zum Komfort, den Gewinn solcher Überlegung ausschließlich für sich behalten? Vom Augenblick an, da dieses Gut als solches anerkannt ist, gehört es allen. Man kann nicht dem Mord eine Logik zugestehen, wenn man sie dem Selbstmord verweigert. Ein Geist, der von der Idee des Absurden durchdrungen, lässt zweifelsohne den Mord aus Schicksalsbestimmung gelten, doch nicht den überlegten Mord. Angesichts der Kluft sind Mord und Selbstmord ein und dasselbe, beide muss man zusammen bejahen oder verwerfen.
    So führt denn der absolute Nihilismus, der den Selbstmord zu legitimieren bereit ist, noch leichter zum Mord aus Überlegung. Wenn unsere Zeit leichtweg die Rechtfertigungen des Mords annimmt, so aus dem Grund jener Indifferenz dem Leben gegenüber, die das Kennzeichen des Nihilismus ist. Es gab zweifellos Epochen, da die Leidenschaft zu lebenso stark war, dass auch sie in verbrecherische Exzesse ausartete. Aber diese Exzesse

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