Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
schweigenden Kriegswitwe und eines schweigenden Sohnes, die André de Richaud in seinem Roman ihrem Unglück überlässt, ist auch die Kriegsversehrtengeschichte Camus’. Er wird sie auf seine Weise noch einmal schreiben, unter dem Titel
Der Fremde
wird sie weltberühmt werden.
Ein Mann heiratet sich nach oben. Und wird Kommunist
Camus ist neunzehn Jahre alt, als er seinem Freund Max-Pol Fouchet die achtzehnjährige Simone Hié ausspannt. Sie gehört zu den Kreisen, die er sich gerade erobert. Ihre Mutter, eine wohlhabende, alleinerziehende Ärztin, wohnt mit ihr in einer der Villen der begehrten Hanglage. Die verwöhnte höhere Tochter aus der Oberstadt ist seelisch ähnlich entwurzelt wie ihr ehrgeiziger Galan aus der Unterstadt, wenn auch aus anderen Gründen. Mit Fuchsstola, High Heels und knapp bemessenen Seidenkleidern gibt sie die wohlstandsverwahrloste Diva der Künstlerkreise von Algier. Obwohl sie nie einen Schulabschluss zustande brachte, besucht sie die philosophischen Seminare der Universität – auch dort die mondänste Erscheinung unter den Studenten.
Camus ist fasziniert von der exaltierten Simone. In seinen Briefen an sie faselt er im geliehenen Jargon einer Oberschichtsempfindsamkeit von Tischen, die sich «unter der Fülle der Weißdornblüten biegen» und das Liebespaar daran erinnern sollen, dass «der von uns erträumte Frühling einen ebenbürtigen Widerpart nur finden kann in dem Tod, der uns verstört» [44] .
Peitsche und Plumpsklo kaum entronnen, mag Camus mit der Avantgarde der französischen Gegenwartsliteratur korrespondieren, in den reichsten Kolonistenkreisen Algiers verkehren und, wenngleich mit zweifelhaftem Ergebnis, den kunstinnigen Soziolekt des französischen Bildungsbürgertums imitieren – die gelebte soziale und emotionale Verankerung in dem Milieu, das ihn bald wie keinen Zweiten feiern wird, fehlt ihm doch. Im Bürgertum des 20 . Jahrhunderts bleibt er ein Außenseiter.
Fleischer Acault hat den mondänen Neffen entnervt vor die Tür gesetzt. An seinen Meister Grenier schreibt Camus: «Ich fühle weder Revolte noch Verzweiflung, nur Gleichgültigkeit». [45]
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Mit seiner ersten Frau Simone Hié vor der algerischen Küste
Mit zwanzig Jahren ist Camus verheiratet. Das Traumpaar posiert mit breitkrempigem Hut und Einstecktuch vor der Küste. Die Anzüge zahlt von nun an die Schwiegermutter. Mit seiner neunzehnjährigen Gattin residiert der Student auf den Hügeln über Algier, fährt im eigenen Auto spazieren und wünscht sich dabei, «so einfach wie möglich zu leben». Auch die Miete, 450 Franc im Monat für die Wohnung am Parc d’Hydra, muss er nicht selber aufbringen. Und es gehört zu den Kuriositäten seines schwindelerregenden Aufstiegs, dass er ausgerechnet in diesem Luxusappartement mit der Arbeit an seinem Manuskript über das «quartier pauvre», das Armenviertel seiner Herkunft, beginnt. Hin und wieder gibt Camus Privatunterricht. Eine Karriere im französischen Schuldienst, wie sie für einen französischen Schriftsteller üblich wäre und von seinem Vorbild Jean Grenier, aber auch von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir beschritten wird, bleibt ihm wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung versperrt. Ein neuer Krankheitsschub zwingt ihn zu absoluter Ruhe, sodass er seine Tage lesend und schreibend auf dem Sofa verbringt. Schon zwei Monate nach der Hochzeit findet er sein Leben wieder «leer und monoton» [46] .
Das erste Zwischenergebnis der jungen Ehe: Simone nimmt Drogen, am liebsten Morphium. Camus tritt in die kommunistische Partei ein. Zwei Versuche – erst die großbürgerliche Heirat, dann die kommunistische Partei –, und beide werden nicht lange gutgehen.
Jean Grenier und Claude de Fréminville hatten ihm zum Parteibeitritt geraten. Der eine wider besseres Wissen, der andere aus tiefster Überzeugung. Camus tritt der Partei nicht trotz, sondern wegen seiner Zweifel bei. Es ist schon eine Einübung in die Kultur des Paradoxen, die Camus bald meisterhaft beherrschen wird. So schreibt das neue KP -Mitglied an Jean Grenier kurz nach seinem Parteieintritt im Sommer 1935 aus der Sommerfrische in Tipasa, am Kommunismus störe ihn der «fehlende Sinn für Religion». Dennoch hoffe er, dass der Kommunismus die geeignete «Vorbereitung, eine Art Askese sein könnte, die den Boden bereitet für spirituellere Aktivitäten». Außerdem hoffe er darauf, im Namen des Kommunismus die «Pseudo-Idealismen und den verordneten
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