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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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Ziehväter Gide und Grenier gegeneinander aus:
    «Die ‹Früchte der Erde› waren ein Schock für meine ganze Generation. Aber was die ‹Inseln› uns an Neuem eröffneten, war ganz anderer Art. Sie kamen uns entgegen; der Gidesche Überschwang rief bei uns Bewunderung und Ratlosigkeit zugleich hervor. Wir mussten nicht erst von den Fesseln der Moral befreit werden, noch mussten wir in die Hymnen auf die Naturfrüchte einstimmen. Die Gideschen Früchte hingen greifbar vor unseren Augen, wir brauchten nur hineinzubeißen. Einige von uns mussten mit dem Elend und dem Leiden leben. Doch wir lehnten uns mit der ganzen jugendlichen Kraft dagegen auf. Die Wahrheit der Welt lag für uns in ihrer Schönheit, in den Freuden, die sie uns bot. Wir lebten also mit dieser Empfindung an der Oberfläche der Welt, zwischen Farben und Wellen und dem starken Duft der Erde. Aus diesem Grund kamen die Gideschen ‹Früchte› mit ihrer Einladung zum Glück viel zu spät. […] Wir brauchten feinsinnigere Lehrer, einen Mann etwa, der von anderen Ufern kam, der auch das Licht und die Herrlichkeit des Körpers liebte und der uns in einer unnachahmlichen Sprache sagte, dass die Erscheinungen der Natur schön, aber auch vergänglich seien, und dass man sie also ohne Hoffnung lieben müsse». [31]
    Diese Zurückweisung eines weltberühmten Buches zugunsten der heute zu Recht in Vergessenheit geratenen essayistischen Prosa seines Lehrers verrät viel über das Loyalitätssystem, dem Camus folgte. Wieder sind es die Treue und die Hingabe zu den «Seinen», die ihn veranlassen, seine Geschichte umzuschreiben. Jean Grenier, Camus’ Förderer, Ratgeber, Lektor und Lehrer, gehört zu ihnen, André Gide, der großbürgerliche Weltenbummler, der nicht arbeiten musste, nie arm war und in Begleitung junger Männer exotische Länder wie Algerien bereiste, eben nicht. Man sucht sich seine Freunde selber aus.

Noces
 – die Hochzeit des Lichts
    Die vier kurzen lyrischen Prosatexte, die Camus 1939 in einer Auflage von 225  Exemplaren unter dem Titel
Noces
(
Hochzeit des Lichts
) in der Edition seines Freundes Edmond Charlot in Algier herausbrachte, gehören zu den schönsten Texten seines Werkes. Es ist nach
L’Envers et l’Endroit
(
Licht und Schatten
) sein zweites Buch und hat nicht mehr dessen sympathische Schutzlosigkeit, sondern ist bis in den Satzrhythmus hinein durchkomponiert. Das belegen auch die zahlreichen Korrekturen der Manuskriptfassungen. Drei dieser Essays führen an algerische Schauplätze, der letzte, «Wüste» überschrieben, in die Toskana. Entstanden sind sie in der Zeit, als Camus nicht mehr im Fleischerhaushalt lebt, sondern als Dandy in Anzug und Fliege durch Algier und seine Frauenbetten vagabundiert. Sie gehen zurück auf Reisen, die er mit der algerischen Jeunesse dorée nach Florenz und Tipasa unternahm, und auf einen Ausflug mit der Baronin Marie Viton, die den mondänen Jungautor zu einer Besichtigung der römischen Ruinen mit dem eigenen Flugzeug nach Djemila flog. Sie erzählen von einer Überschwänglichkeit und einem Übermut, den der Verfasser längst verloren hat und mit seinen Freundinnen für die Fotokamera nur noch nachstellt.
    [Bild vergrößern]
    Mit Freundinnen in Tipasa, 1935
    Der Eröffnungsessay, «Hochzeit in Tipasa», ist eine Meditation über die römische Ruinenstätte Tipasa, knapp 70  Kilometer östlich von Algier hoch über dem Meer gelegen. Der erste Satz dieses Essays ist berühmt: «Im Frühling wohnen in Tipasa die Götter.» Camus hat für die Feier des Lichts, der glühenden Landschaft aus Meer, Hibiskus, Teerosen, Zypressen und Kiefern einen antiken Hintergrund gewählt. Wie alle algerischen Bücher Camus’ – und Camus hat beinahe ausschließlich algerische Bücher geschrieben – versteht man sie nur, wenn man sie auch liest als ein Zeugnis poetischer Landeskunde.
    Tipasa – eine phönizische Handelsniederlassung, römische Kolonie und frühchristliche Pilgerstätte, die vom Chenoua-Massiv überragt wird – ist ein touristisches Ausflugsziel für die Bewohner von Algier und ein kompliziertes historisches Monument: Die Ruinenstätte war Zeugnis der Überlagerung und Vernetzung dreier Hochkulturen, also alles andere als der geeignete Ort für die Feier des geschichtslosen Augenblicks eines mystischen Naturerlebens. Camus vertieft die komplexe historische und weltanschauliche Ausgangslage nicht, doch er versucht, die geistige Flughöhe zu halten.
    Der Essay badet in den

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