Canale Mortale (German Edition)
einsam und leicht
schief in den Himmel über der Lagune ragte.
»Von dort oben haben Sie einen herrlichen Blick über die Sümpfe und
Salzwiesen. Sie schillern in allen Farben. Und fahren Sie am besten früh, dann
gehört Torcello Ihnen allein.«
Antonia hörte fasziniert zu, wie Don Orione von der Lagune
schwärmte, und freute sich auf unbeschwerte Ausflugstage.
Nach einer weiteren Viertelstunde tauchte die Silhouette der Stadt
auf, die Antonia so in ihren Bann zog. Jana steuerte das Boot in Richtung Lido.
»Ich fahre außen herum zu uns. Auf den Canal Grande traue ich mich
jetzt nicht, da ist es mir nachmittags zu voll. Ich hatte schon einmal eine
unangenehme Begegnung mit einem Gemüseboot und zwei Gondeln. Die Carabinieri
haben geschimpft, konnten aber nichts machen, weil ich meinen Bootsführerschein
dabeihatte …«
Auf der linken Seite sah man jetzt den Lido und rechts St. Elena,
den äußersten östlichen Zipfel Venedigs. An den hohen Scheinwerfern erkannte
man das Fußballstadion. Florian, der bisher geschwiegen hatte, erkundigte sich
bei Jana, ob am Wochenende dort gespielt würde.
»Du hast Glück. Am Samstag spielen die Leoni, unsere Löwen, gegen
Triest. Wir sind nur in der dritten Liga, haben aber Aufstiegschancen wie lange
nicht mehr. Ugo, mein Bruder, ist fast jeden Samstag da, er ist verrückt nach
Fußball. Er kann dich zum Spiel mitnehmen.«
»Den Aufstieg sehe ich noch nicht«, brummte Don Orione, »aber ich
werde die Löwen in meine Gebete einschließen.«
»Sie interessieren sich für Fußball?« Florian sah den Priester
überrascht an.
»Das muss ich wohl! Auf dem Campo vor meiner Kirche bolzen seit
Generationen die Jungen unserer Gemeinde. Zwei davon sind jetzt erwachsen und
spielen bei den Leoni. Unsere Parrocchia ist natürlich sehr stolz darauf …«
Er verstummte, denn Jana lenkte das Boot gerade in das Markusbecken.
Durch den stärkeren Wellengang wurde der Bug zuerst hoch und im nächsten
Augenblick wieder senkrecht nach unten gedrückt. Antonia schrie bei jedem
Hüpfer, den das Boot machte, vergnügt auf und hielt ihr Gesicht in die Gischt,
während Don Orione mit der Rechten seine Mappe umklammerte und sich mit der
Linken krampfhaft an der Reling festhielt. In einem ruhigeren Moment wischte er
sich wieder die Schweißperlen von der Stirn.
»Was ist mit Ihnen, Padre?«, rief Jana besorgt.
»Ich sage es nicht gern, aber ich kann nicht schwimmen.«
»Keine Sorge. Wir sind gleich da.«
Umsichtig lenkte sie das Boot zwischen kreuzenden Vaporetti und
Frachtbooten in den Giudecca-Kanal, und das Auf und Ab wurde sanfter. An der
Anlegestelle Zattere ließ Jana den Priester aussteigen. Florian half ihm aus
dem Boot und reichte ihm sein Gepäck. Don Orione schien heilfroh, wieder festen
Boden unter den Füßen zu haben. Er bedankte sich und versicherte, dass er auf
jeden Fall zu Florians Konzert kommen werde; außerdem würde er ihnen jederzeit
seine Kirche zeigen, wenn sie Lust dazu hätten. Sie sollten einfach
vorbeikommen, am besten vormittags. Dabei reichte er Florian ein Kärtchen mit
seiner Handynummer.
Jana wendete, fuhr ein Stück zurück und steuerte das Boot in einen
Seitenkanal. Alle drei mussten sich ducken, als sie unter einer kleinen Brücke
hindurchfuhren. Dann machte Jana an einer breiteren Stelle eine Drehung, bog
nach links in einen noch engeren Kanal und schaltete den Motor ab. Nach wenigen
Metern glitt das Boot an einen hölzernen Steg, der zum Wassertor eines Palazzos
mit halb verfallener Fassade führte.
Jana warf ein Tau über den Anlegepfosten, dessen für Venedig so
typischer blau-goldener Anstrich nur noch zu erahnen war, so verblasst war die
Farbe. Antonia bemerkte, wie ihre Freundin dabei einen Augenblick lang
innehielt und hochsah.
An der Ufermauer des Kanals lehnte ein Mann mittleren Alters in
einem hellgrauen Sakko und zündete sich eine Zigarette an. Er wirkte elegant
und winkte lässig zu Jana herüber. Jana grüßte hastig zurück und errötete. Der
Mann schlenderte ohne Eile weiter, wobei sein Gang etwas leicht Abgehacktes
hatte, so als ob er bei jedem Schritt zögerte, ob er ihn tun solle.
»Wer war denn das?«, fragte Antonia, erhielt aber keine Antwort.
»Wir sind da!«, rief Jana stattdessen mit etwas zu lauter Stimme und
sprang auf den Bootssteg. »Mama wird schon mit dem Essen warten.«
Florian sah bedeutungsvoll zu Antonia hinüber. Es
geht schon los, habe ich es dir nicht gesagt? Kaum sind wir da, sitzen wir in
der Besucherfalle,
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