Canale Mortale (German Edition)
Im
nächsten Augenblick stieß der Mann mit dem Messer sie ins Auto und sprang
hinters Steuer. Etwas prallte auf ihren Hinterkopf, und sie verlor das
Bewusstsein.
Sie bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit durch einen
langen, dunklen Tunnel und wünschte, sie könnte anhalten und ausruhen. Aber die
Geschwindigkeit blieb unvermindert, sie wurde wie in einem riesigen Windkanal
nach vorne gesogen. Ein heftiger Schmerz hämmerte in ihrem Kopf. Als sie
erwachte, tastete sie mit der Linken nach Florian. Sie wollte ihn bitten, ihr
ein Glas Wasser und ein Schmerzmittel zu holen. Der Schmerz in ihrem Kopf war
fast übermächtig, und ihr war übel. Aber Florian war nicht da, sie berührte nur
eine Wand. Mit Mühe öffnete sie die Augen und gewahrte, dass sie in einer Art
Schrank lag. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass der Schrank zur anderen Seite
hin offen war und in einen winzigen Raum mündete.
Sie versuchte, sich aufzurichten, sank aber sofort wieder zurück.
Der Raum bewegte sich auf und ab. An einer Seite fiel spärliches Licht durch
ein rundes Glasfenster herein. Nach einer Weile, als sie ganz still dalag und
ihr Lager weiter auf und ab schwankte, begriff sie, dass sie auf einem Schiff
sein musste. Vorsichtig setzte sie die Beine auf den Boden und tastete sich
durch die Kajüte. Neben der Tür gab es einen Lichtschalter. Eine trübe Lampe
beleuchtete einen Tisch mit leeren Colaflaschen, Pizzakartons und Chipstüten.
Unter dem Tisch lehnte eine große Umhängetasche. Sie beugte sich nach vorne und
sah auf das Namensschild. Es war Ugos Tasche. Offenbar war sie dort, wo man bis
vor Kurzem Ugo versteckt hatte. Vielleicht war er ganz in der Nähe. Dann fiel
ihr ein, dass Jana mit ihm weggelaufen war. Sie sah die beiden wieder auf dem
Boden liegen. Hoffentlich war ihnen bei der Schießerei nichts geschehen.
Antonia wankte zur Koje zurück. Sie hatte großen Durst. Neben der
Koje stand eine Plastikflasche mit einem Rest Wasser. Gierig trank sie. Das Wasser
war warm und schmeckte abgestanden. Die Übelkeit erlaubte es nicht, dass sie
sich länger aufrecht hielt. Ihre Armbanduhr zeigte fünf Uhr morgens. Der
Schmerz pochte in ihrem Kopf, und nach einer Weile versank sie in erlösendem
Schlaf.
Als sie wieder erwachte, fiel helles Tageslicht durch das Bullauge.
Es ging ihr etwas besser, aber der Durst war schlimmer geworden. In der Kajüte
war es warm, und sie sehnte sich nach einem Schluck Wasser. Das Schiff schien
jetzt ruhig zu liegen, denn die schwankende Bewegung hatte aufgehört. Von außen
drang Motorengeräusch in die Kabine. Sie hörte Stimmen, die sich etwas
zuriefen. Es schien, als ob ein anderes Boot anlegte und jemand an Deck kam.
Ihr Durst wurde immer unerträglicher. Sie tappte zur Tür und drückte die Klinke
herunter.
Vor ihr lag ein kleiner Flur, an dessen Ende eine Treppe nach oben
führte. Die Stimmen an Deck waren jetzt deutlicher zu hören. Sie stand still
und horchte. Eine erregte Frauenstimme, die sie als die Stimme Flavias
erkannte, wechselte sich ab mit der gutturalen Stimme eines Mannes. Der Kerl
mit dem Messer, dachte Antonia. Sie verstand nichts, denn die Unterhaltung
wurde auf Venezianisch geführt. Allerdings konnte sie die Namen Ugo und Andrea
heraushören. Flavia schien nach ihnen zu fragen. Vielleicht wusste sie nichts
von der gescheiterten Übergabe, denn sie fragte auch nach dem Gemälde. Das Wort
»dipinto« fiel mehrfach, so viel konnte Antonia verstehen. Es war Andreas
Kumpan also offenbar nicht gelungen, das Gemälde mitzunehmen.
Sie konnte sich allmählich einen Reim auf die Geschehnisse nach der
Schießerei machen. Anscheinend hatte Andreas glatzköpfiger Kumpan Marcello sie
als Geisel mitgenommen, und es war ihm gelungen, der Polizei zu entkommen und
sie auf ein Schiff zu bringen. Flavia war wohl eben erst aufgetaucht und wollte
jetzt offenbar wissen, wo ihr Bruder und das Bild des Conte waren. Antonia
konnte hören, wie der Mann mit jeder Antwort unwirscher, die Stimme Flavias mit
jeder Frage gellender wurde. Langsam zog sie sich am Handlauf der Treppe hoch,
bis sie das Deck überblicken konnte. Die beiden standen sich gegenüber und
stritten; Flavia stand so, dass sie in Antonias Richtung schaute. Als Flavia
sie an der Treppe bemerkte, klappte ihr für ein paar Sekunden der Mund auf.
Dann zeigte sie auf Antonia und schrie:
»Was soll das? Was tut sie hier?«
Der Mann, der Antonia mit dem Messer bedroht hatte, drehte sich um.
Es war tatsächlich Marcello. Hasserfüllt kam er
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