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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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sich rechts zwischen Büschen und Bäumen ins Feld zog. Sie waren zu früh, es
war erst halb acht, und Jana schlug vor, an den nahen Fluss zu fahren.
    Wenn der Anlass ihrer Fahrt nicht so bedrückend gewesen wäre, sie
hätten kein schöneres Ziel für einen Ausflug wählen können. Die Brenta floss
ruhig dahin, links und rechts war das Ufer von Weiden gesäumt, deren Kronen
sich bis zum Wasser neigten. Eine kräftige Sonne beschien die idyllische
Flusslandschaft. Es roch nach Gras und Wiesenkräutern. Am Ufer lagen ein paar
kleinere Boote, und ab und an flog ein Wasservogel auf. Jana und Antonia
blieben im Auto sitzen und schauten schweigend auf den friedlichen Fluss. Dann
drehte sich Jana plötzlich abrupt zu Antonia um und starrte sie mit
schreckerfüllten Augen an.
    »Was tun wir, wenn sie bewaffnet sind, und Ugo ist gar nicht da?«
    Antonia, die diese Möglichkeit schon mit Florian erörtert hatte, gab
sich gelassen.
    »Ich denke, wir haben es mit Dieben zu tun, so wie die bisher
vorgegangen sind. Sie haben den Jungen bestimmt dabei. Sie wollen das Bild, nicht
Ugos Leben.«
    Aber Jana beruhigte sich nicht. »Wenn sie Ugo nun doch etwas angetan
haben?«
    »Das haben sie nicht. Solange sie das Bild nicht haben, ist Ugo ihr
Druckmittel …«
    Antonia konnte ihre eigene Nervosität kaum noch verbergen. Zum Glück
schwieg Jana für eine Minute, um dann jedoch umso heftiger zu jammern. Sie
hätte sich nie mit Guido einlassen dürfen, ihr kleiner Bruder sei in
Lebensgefahr, und sie sei vielleicht an allem schuld.
    Antonia verlor die Geduld. »Dein Wehklagen hilft uns jetzt auch
nicht weiter. Wir müssen Ruhe bewahren, wenn wir Ugo helfen wollen.«
    Um zehn vor neun startete Jana den Motor, und sie fuhren zurück. Sie
parkten in der Nähe des verlassenen Bauernhauses und holten das verpackte Bild
aus dem Kofferraum. Es war groß, aber nicht allzu schwer. Langsam trugen sie es
in ihrer Mitte den Weg hinunter, der wegen der vielen Bäume, die ihn säumten,
unübersichtlich war. Nach etwa einem halben Kilometer sahen sie unter einer
Eiche das Heck eines Wagens. Als sie näher kamen, erkannten sie Ugo, der auf
dem Rücksitz saß. Er drehte sich jetzt zu ihnen um und winkte. Jana hätte, als
sie ihn sah, vor Freude und Aufregung fast das Bild fallen gelassen. In diesem
Moment stieg ein Mann aus dem Wagen. Er hatte hinter dem Steuer gesessen und
trug eine Mütze, die er tief in die Augen gezogen hatte. Ein anderer, ebenfalls
vermummt, trat hinter der Eiche hervor. In der Hand hielt er ein Messer. Von
der Statur her könnte das Marcello, der Mann aus dem Fußballstadion, sein,
dachte Antonia. Er wies sie stumm an, das Bild auf den Boden zu setzen. Dann
machte er sich mit dem Messer daran, die Verpackung zu lösen. Jana erklärte
ihm, dass das Bild der Familie Singer hinter dem Gemälde der Venus versteckt
sei, man müsse nur den Rahmen lösen. Er solle ihr Ugo schicken, dann würde sie
ihm den Mechanismus erklären.
    Der Kleinere der beiden wies seinen Kumpan an, Ugo aus dem Wagen zu
holen. Der Junge stieg aus. Er war blass und wankte ein wenig, aber er schien
wohlauf. Jana rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Dann, Sekunden später, versank
die gesamte Szene in einem ohrenbetäubenden Lärm und Durcheinander. Schreie
waren zu hören, Schüsse krachten, und ein Megafon ertönte.
    »Hier spricht die Polizei. Ergeben Sie sich!«
    Die beiden Frauen und die Entführer waren einen Moment lang vor
Schreck wie gelähmt, aber dann ging alles in einem irrsinnigen Tumult unter.
Jana zerrte Ugo an der Hand mit sich fort und schrie: »Komm! Lauf!«, dann
rannten die Geschwister in Richtung des Bauernhauses, aus dem jetzt etwa
fünfzehn schwer bewaffnete Carabinieri auf sie zustürmten.
    Antonia sah noch, wie Jana stolperte, hinfiel und Ugo mit zu Boden
riss. Im gleichen Moment spürte sie, wie sich ein Arm von hinten um ihren Hals
legte und jemand ein Messer an ihre Kehle drückte. Schüsse krachten, und der
Mann zerrte sie fort in Richtung Auto. Er schrie seinem Kumpanen etwas zu, und
Antonia hörte, wie er ihn Andrea nannte. Obwohl sie starr war vor Entsetzen,
hatte sie für den Bruchteil einer Sekunde das Bild von Andreas scheuem
Gesichtsausdruck vor Augen, als er sich auf dem Dachboden des Palazzos bei ihr
für den Espresso bedankte. Flavias Bruder also, dachte sie. Wieder fielen
Schüsse. Dann sah sie noch, wie Andrea plötzlich vor der offenen Wagentür
zusammensackte. Blut schoss in einer hellen Fontäne aus seinem Mund.

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