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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Tal: »Gehen wir, ’s ist September. ’s ist Zeit zu gehen. / Jetzt verlassen meine Schäfer in den Abruzzen / ihre Pferche und ziehen ans Meer.«
    Am Ende des Winters dann, wenn im Sumpf die Anopheles-Mücke wieder schlüpfte, auf den Bergen dagegen die Schneeschmelze einsetzte, es taute und Wiesen und Weiden blühten, kehrten Schafe und Schäfer zurück dort hinauf: »Auf Wiedersehen im September.« Noch heute gibt es – wenn man die Ebene des Agro Pontino bis zur Quartärdüne durchquert – eine Straße, die eben »Straße der Bassianesen« heißt, und das ist der Weg, auf dem die Schäfer auf ihrer Wanderschaft von der Ciociaria und dem Apennin hierherzogen und wo die Bassianesen bewaffnete Wachposten aufstellten, um jedem Einzelnen Wegegeld abzunehmen, Maut und Weidezoll für Schafe und Menschen. Das war eine Art Zoll, dogana , und Doganella heißt so, weil es dort eine Art Zollstelle des Fürsten Caetani und der Sermonetaner gab.
    In dieser ganzen grenzenlosen Ebene, wo heute fünfhunderttausend Menschen leben, waren es damals, wenn’s hoch kommt, den ganzen Winter über zweitausend, hier und dort verstreut. In den Sommermonaten – wenn Mückenschwärme den Himmel verdunkelten – war hier wirklich kein Schwein; maximal tausend Leute, gerade mal die Briganten, die nicht in ihre Dörfer zurückkonnten. Eine sumpfige, malariaverseuchte Ödnis eben, und die Bassianesen, die ihren Mais ja irgendwann ernten mussten, kamen jeden Morgen von ihrem Dorf in den Bergen herunter. Zu Fuß oder auf dem Rücken eines Maultiers, die wenigen, die ein Maultier hatten. Denn – ich wiederhole es – hierher kamen nur die Allerelendesten. Und abends, wenn die ersten Anopheles-Geschwader auszurücken begannen, kehrten sie in ihr Dorf zurück. Bei alledem starben sie im Sumpf an Malaria wie die Fliegen, die Leute aus Sezze, aus Cori und Bassiano, und wenn sie irgend konnten, vermieden sie es tunlichst, herunterzukommen.
    Schon seit Jahrhunderten lebten sie auf diesen Bergen – seit Jahrtausenden –, im Kalkgestein verschanzt, schauten sie von oben herab auf den Sumpf. Wer da hinunterging, kam um und basta. Und seit Jahrhunderten – seit Jahrtausenden – sahen sie von dort oben aus hin und wieder jemanden daherkommen, der den Sumpf trockenzulegen versuchte, einen Kanal aushob oder einen Tümpel austrocknete. Aber nach einem Weilchen blieben die Arbeiten regelmäßig stecken, die Erdarbeiter hörten auf zu graben, und in null Komma nichts hatte der Sumpf alles wieder verschluckt. Auch diesmal, 1928, als das Konsortium mit der Trockenlegung begann, waren sie hinuntergegangen, um Schlamm zu schippen, Schubkarren zu schieben und den Lohn zu kassieren, aber eben nur, um den Lohn zu kassieren und ohne sich große Illusionen zu machen: »Solange es geht … Aber wie lang soll das schon gehen? Du wirst sehen, bald steht auch diesmal alles wieder unter Wasser.«
    Doch als sie 1931 sahen, wie die Opera Combattenti ihrerseits in null Komma nichts den Sumpf verschluckte und anfing, die ersten Siedler aus Venetien auf ihren Höfen anzusiedeln, da begannen die Sezzesen und die aus den umliegenden Dörfern zu schimpfen: »Und warum gebt ihr diese Höfe nicht uns? Warum holt ihr die? Wir rackern uns ein Leben lang hier ab, und nun holt ihr andere da her? Für sie guter, trockengelegter Boden und für uns nur Felsgestein?«
    Ihre einzige Hoffnung war, dass wir sterben würden: »Du wirst sehen, die Malaria rafft sie bald alle dahin, diese Cispadanier.« Aber es verging ein Jahr, es verging noch ein Jahr, und nach wie vor kamen sie aus Venetien, aus dem Friaul und dem Ferraresischen, besiedelten Höfe und starben nicht in Scharen, sondern nur hin und wieder einer. Und als sie sahen, dass wir nicht starben, wurden sie noch wütender. Aber erst dann, vorher nicht. Am Anfang waren sie noch nicht so wütend gewesen; sie nannten uns »Cispadanier«, das stimmt; aber den Fascio setzten sie nicht unter Druck, sagten nicht: »Gebt diese verdammten Höfe uns.« Nein, sie warteten in aller Ruhe ab, dass wir stürben. Als wir jedoch nicht starben und anfingen, uns zu vermehren, und immer noch mehr kamen und sie endlich merkten, dass es die Sümpfe nicht mehr gab und nicht mehr geben würde, dass man hier jetzt leben und auskömmlich wirtschaften konnte, da fingen sie an, auf den Fascio zu schimpfen: »Gebt sie uns, diese Höfe! Wieso sollen wir leer ausgehen?«, und es war offener Krieg und immerwährender Hass zwischen ihnen und uns.
    Wir haben uns

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