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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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nie verstanden. Eine ganz andere Art zu denken, und auch zu reden und zu essen. Sie wussten zum Beispiel nicht, was Tortellini oder Cappelletti in brodo sind, und Großmutter erzählte immer von dem einen Mal, als eine Ährenleserin aus den hiesigen Bergen ihr als Geschenk, zum Dank, ein Tüte Oliven mitgebracht hatte; sie hatte sie genommen – »Tausend Dank, meine Liebe« –, aber sobald die andere fort war, hatte sie sie in den Graben geschüttet. »Was ist denn das?« Wir hatten noch nie Oliven gesehen. Wir dachten, sie könnten uns womöglich schaden. Wir hatten immer mit Maiskeimöl oder Schweineschmalz gekocht.
    Vor allem aber waren unsere Frauen in ihren Augen allesamt Huren. Sie hatten noch nie zuvor ein Fahrrad gesehen. Und die Frau war eine Sklavin. Dem Mann untertan. Wehe, sie machte im Beisein ihres Mannes den Mund auf. Und alle immer ganz schwarz vermummt. Unsere Frauen dagegen hatten, ich sage ja nicht kurze, aber bequeme Röcke an und ganz bunte, und sie fuhren auf dem Fahrrad herum, und beim Fahrradfahren flattern die Röcke bekanntlich in die Höhe und lassen ein bisschen Bein sehen: »Huren.« Und beim Tanz – ich kann Ihnen sagen! Bei der Weizenernte konnte es schon vorkommen, dass wir mit ihnen gemeinsam feierten. Für uns war am Tanzen nichts Schlimmes. Es war, wie soll man sagen, ein rein künstlerischer Ausdruck. Man tanzte einmal miteinander, danke schön und auf Wiedersehen. Bei ihnen dagegen – in Sezze oder in den Lepiner Bergen – tanzte man einmal mit einer, und dann musste man sie heiraten. Und wenn sie unsere Frauen mit allen tanzen sahen – erst mit dem einen, dann mit einem anderen –, brannten ihnen im Hirn die Sicherungen durch, es gab Missverständnisse, und es endete regelmäßig mit Schlägereien und Messerstechereien, jeden Samstag, wenn Tanz war, bei jedem Erntefest, bei jedem Jahrmarkt; besonders in Pontinia und in den Dörfern am Rand des Gebiets. Marokkaner eben. Das war der Grund, warum wir sie so nannten, weil sie zurückgeblieben waren, und in Doganella – ich weiß nicht, ob es sich um einen Ball handelte oder ein Erntefest oder einen Viehmarkt und ob es Tag war oder Abend – musste Onkel Pericle auch einmal zum Messer greifen. Er selbst hat aber auch paar Stiche abbekommen, und seine Brüder brachten ihn auf dem Karren nach Hause. Seine Mutter – meine Großmutter – und seine Frau mussten ihn mit mehreren Stichen zusammenflicken. Er hatte keinen Mantel angehabt – es war Juli –, der etwas abgehalten hätte.
    Onkel Adelchi hingegen erzählte von damals, als er mit dem Schiff unterwegs war nach Afrika, zur Eroberung des Kaiserreichs Abessinien – das dürfte zwei oder drei Jahre nach unserer Ankunft hier gewesen sein –, und man eines Abends den Soldaten auf Deck einen Film zeigte. Er war zusammen mit den Schwarzhemden von der Kompanie »Littoria«, lauter Siedler wie er.
    Es wurde einer von diesen amerikanischen Western gezeigt, in Schwarzweiß, aber schon mit Ton. Die Weißen waren immer die Guten, und sie brachten Zivilisation und Fortschritt, die indianischen Rothäute dagegen waren die Bösen, die mit den schlimmsten Greueln den Siegeszug sowohl des Fortschritts als auch der Zivilisation aufhielten. Irgendwann jedenfalls – sie mochten schon im Roten Meer sein, hinter dem Sueskanal – erscheint im Dunkel der Nacht auf der Leinwand ganz groß das Profil eines Apachen, der auf einem Berg Wache hält, wo er von ferne die Bleichgesichter näher kommen sieht. Das Gesicht voller Falten, böse Augen, eine Hakennase, sah er wirklich haargenau so aus wie ihr Scharführer – was dem Rang eines Unteroffiziers entspricht –, der aus Sezze stammte. Nun weiß ich nicht, ob Sie das wissen, aber hier in der Gegend – also in sämtlichen Ortschaften der Lepiner und Ausoner Berge – hieß es immer und heißt es immer noch: »Wehe, du gibst einem aus Sezze einen Dienstgrad.«
    In der Stille der Nacht – oder besser, durch das schreckliche Dröhnen der Musik hindurch, die sich vom Schiffsdeck aus über die Wogen des Roten Meers verbreitete, das silbrig gekräuselt unter den Strahlen des Äquatormonds dalag – hatte Onkel Adelchi laut in die Dunkelheit gerufen: »Der Sezzeser! Schaut doch nur, der Sezzeser, das ist er, wie er leibt und lebt!«
    Das ganze Schiff brüllte vor Lachen, Sie glauben es nicht. Alles hielt sich den Bauch vor Lachen. Auch die Offiziere.
    Sofort kam von dem beleidigten Unteroffizier der Ruf: »Peruzzi!« Aber mittlerweile war das ein

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