Canale Mussolini
Faschisten wie überall anders in Italien auch. Von Anfang an hat es hier einen Sitz des Fascio gegeben, und sie haben den Marsch auf Rom mitgemacht wie alle anderen auch. Sicher, auch hier waren zuerst die Sozialisten und die Camere del lavoro. Aber irgendwann hatte sich der Wind gedreht, wie überall – heute ist dies in Mode, morgen das –, und sie waren Faschisten geworden. Nicht anders als alle anderen auch. Sie wissen doch, wie noch bis vor wenigen Jahren in ganz Norditalien alle Anhänger von DC oder PC waren und tags darauf alle Lega oder Berlusconianer? Wenn Sie sich diese Typen anschauen, die auf den Festen der Lega gebratene Würstel, Schnitzel oder Bohnen anbieten, so hat der größte Teil von denen das auch auf den Festen der Unità schon getan. So ist das nun mal auf der Welt, was wollen Sie machen?
Vor allem aber sagte man uns, das sei, um die Provinzen Julisch-Venetien und Friaul für die erlittenen Verwüstungen und das Leid im Krieg 1915–1918 zu entschädigen. Außerdem waren das die ärmsten Landstriche Italiens, lauter Hungerleider und Arbeitslose, die die Auswandererschiffe nach Amerika füllten. Als diese Emigration vorbei war – man wollte uns dort nicht mehr, genauso wie wir heute gegenüber Immigranten aus Nicht- EU -Staaten –, musste man uns ja schließlich irgendwohin schicken. Und man schickte uns hierher. Wir waren die Immigranten des Agro Pontino. Dann aber – das sagte ich Ihnen ja schon – brauchte die ONC Pächter oder Kleinbauern, die sämtliche landwirtschaftlichen Arbeiten verrichten konnten und auf den Gütern ständig ansässig wurden. Die hier dagegen waren gewohnt, jeden Abend in ihr Dorf zurückzukehren. Wer sollte sie dazu bringen, über Nacht bei den Tieren im Stall zu bleiben – bei der Angst vor der Malaria? Das Pacht- oder Halbpachtsystem gab es nur in der Toskana, in Umbrien, in den Marken und in der Poebene. Im Latium – in den Provinzen des Kirchenstaats – hatte es das nie gegeben, da hatte es immer nur Feudalismus gegeben, und der erste überhaupt, der auf seinen Gütern im Latium, in Magliano Sabina, die Halbpacht einführte, war eben Graf Cencelli gewesen. Vielleicht hatte Rossoni ihn auch deswegen dem Duce für die ONC vorgeschlagen.
Nun ist aber auch klar – wie Sie sehr richtig sagen –, dass da vorher nicht wirklich niemand war. Die Pontinischen Sümpfe waren eine Hölle – eine malariaverseuchte, sumpfige Ödnis –, aber da lebte doch jemand, auch schon vor uns. Und das ist die Wahrheit.
Vor allem waren da die Büffelhirten aus Cisterna, die wie Cowboys zu Pferd das Vieh des Fürsten Caetani hüteten oder das der anderen römischen Adelsfamilien, der Borghese, der Colonna oder der Annibaldi. Denn denen gehörte hier alles, den Adligen, vor allem den Caetani. Aber auch Leute aus den Lepiner Bergen waren in den Sümpfen. Eigentlich beschafften sie sich ihre Nahrung ja größtenteils oben in den Bergen. Die aus Cori pflanzten Weizen in Tirinzania und bis hinauf zum Monte Lupone. In Sezze dasselbe: Den Weizen fürs ganze Jahr zogen sie im Gebirge um Suso, was eben »oberes Tal« bedeutet, oberhalb vom Dorf. Nach unten in die Sümpfe kamen nur die wirklich Elenden, die Reichen nicht – und auch die nicht so Reichen nicht und auch die nicht ganz und gar Verzweifelten nicht –, um den Sümpfen und der Malaria Hunger und Tod abzutrotzen. Einige aber kamen auf der Jagd nach Fröschen, zum wilden Fischfang in den Tümpeln oder um heimlich irgendwo ein kleines Feld zu bestellen. Und dann, um Reisig zu sammeln oder sich ein Schwein großzuziehen.
Aufgrund jahrhundertealter landwirtschaftlicher Allmenderechte erhoben die Einwohner von Bassiano Anspruch auf diverse Flecken auf der Quartärdüne, in der Umgebung des heutigen Borgo San Donato. Hier lebten in den Wintermonaten etliche Familien – bis zu einigen Hundert Leuten – in den sogenannten lestre , was Ansammlungen von Hütten waren, ähnlich wie die casoni bei uns in Venetien, bestehend aus Pfählen, Zweigen, Holz, Schilf und Sumpfgräsern. Und hier bauten die Bassianesen Mais an. Ihren Verdienst aber – wenn hier von Verdienst die Rede sein kann, denn sprudelnde Ölquellen waren das nun wahrlich nicht – machten die Bewohner der Lepiner Berge mit den Schäfern, die jedes Jahr aus den Bergen der Ciociaria und den Abruzzen herunterkamen – eine Wanderschaft in der Senkrechten. Im Sommer ließen die Schäfer ihre Herden oben auf den Bergwiesen weiden, und Mitte September brachten sie sie ins
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