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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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gibt. Ja, sie werfen sie gemeinsam in den Brunnen, Großvater und Enkel. Und manche sagen, dass man in Winternächten – wenn es in Strömen regnet, wie es nur bei uns in Strömen regnet – in der Nähe des Brunnens mit der Kugel noch manchmal im Wasserrauschen das Miau! Miau! des Kätzchens hören kann, das herausmöchte, außerdem von ferne das Motorengeräusch des 18 BL. Legende oder Wahrheit? Aberglauben in jedem Fall. Wer weiß, wie viel daran wahr ist und wie viel erfunden.
    Wie bitte, was sagen Sie? Warum wir nicht graben und nachschauen, ob der Lastwagen wirklich noch dort ist?
    Aber auf gar keinen Fall. Sie machen wohl Witze! Mythos ist Mythos, und einen Gründungsmythos untersucht man nicht auf seinen Wahrheitsgehalt. Was zählt, ist das, was der Mythos erzählt. Und wenn wir graben und beispielsweise herausfinden, dass der Lastwagen nicht dort ist, was machen wir da, sollen wir dann ohne den Mythos auskommen? Aber Sie sind ja verrückt. Mit Mythen spaßt man nicht. Auch weil es in Latina und im ganzen Agro Pontino noch eine andere Redensart gibt, eine Redensart, die sich unsere alten Siedler in den Wirtshäusern immer wiederholen und die ich auch von Großvater und von meinen Onkeln gehört habe: »Der Tag, an dem die Kugel herunterfällt oder auch nur ein Stück zur Seite rückt, das ist der Tag des Untergangs für Latina-Littoria und den Agro Pontino. Das ist der Anfang vom Ende, und da ist dann kein Halten mehr. Alles bricht zusammen. Tod und Zerstörung überall.« Diese Kugel ist ein Pfropfen – mein Herr –, ein Pfropfen, der die chthonischen Gewalten unter Verschluss hält. Wenn Sie ihn auch nur einen Augenblick lang wegnehmen, ist das wie bei der Büchse der Pandora, danke schön und auf Wiedersehen. Die Gewalten der Unterwelt kommen alle hervor und treten in unlösbaren Gegensatz zu den Sternenmächten des Himmels. Das ist ein kosmischer Kurzschluss, und den Tag, an dem das passiert, möchte ich wirklich nicht erleben. Das Ende von Latina-Littoria. Und vielleicht ist das der Grund, warum gewisse Politiker in Sermoneta – Gezücht der Caetani, verfluchte Marokassiner – unter der Piazza della palla um jeden Preis eine Tiefgarage bauen wollen. Gott verfluche und verdamme alle, die die Piazza und den Brunnen antasten wollen. Anathema.
    Am Tag darauf jedenfalls, am 18. Dezember 1932, kam der Duce – derselbe Duce, der sechs Monate zuvor außer sich vor Wut gewesen war und sich geweigert hatte, zur Grundsteinlegung zu kommen, »Wehe euch, ihr nennt das noch einmal Stadt« –, kam also zur Einweihungsfeier nach Littoria, das in strahlendem Sonnenschein dalag. Ja, er war es, der die Sonne mitbrachte, und vom Balkon des Rathauses aus – unter dem Turm – sagte er zu meinen Onkeln und allen anderen, die da dicht gedrängt in einer Masse auf dem Platz standen, aber auch zur ganzen Welt, die an jenem Tag in Gestalt der internationalen Presse mit offenem Mund lauschte: »Das ist die Schlacht, die wir schlagen wollen.« Die Arbeit. Der Boden. »Aber passt bloß auf«, wollte er zu ihnen sagen, »dass ihr uns nicht auf die Eier geht.« Und direkt an uns gewandt: »Bauern und Landarbeiter / sollen aufschauen zu diesem Turm, der die Ebene beherrscht / und Symbol ist für die Macht des Faschismus. / Um ihn geschart / sollen sie, wenn es nötig ist,/ Beistand und Gerechtigkeit finden. Mussolini« , wie heute noch auf dem Gedenkstein am Balkon zu lesen ist.
    Dann sagte er aber auch, dass im Agro Pontino weitere Städte gebaut würden: Sabaudia gleich im nächsten Jahr, dann Pontinia, Aprilia und Pomezia. Die Welt würde sehen, wozu wir imstande waren: Dem Gebot der Ahnen gehorchend – Siccentur hodie Pomptinae Paludes –, würden wir aus dem Nichts die »verschwundenen« Städte wiederaufbauen, von denen Plinius der Ältere spricht. Die Siedler schließlich – ehemalige Kämpfer wie in der Antike die Legionäre Cäsars, die am Ende ihres Militärdienstes Land zugewiesen bekamen, das sie dann in Frieden bestellen konnten – würden innerhalb von zehn oder fünfzehn Jahren ihren Hof auslösen können und Grundbesitzer werden.
    Ungeheurer, unbeschreiblicher Jubel: »Du-ce! Du-ce!« brüllten wir alle miteinander im Chor, dann Fanfarenstöße und Posaunenklänge, Kanonendonner, Motorenlärm von sämtlichen Traktoren, die alle gleichzeitig angelassen wurden. Dann Gesänge, Schreien und Gebrüll, und die Feier war vorbei, die Menge löste sich auf, und jede Familie trat – auf Fuhrwerken, Fahrrädern oder

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