Canale Mussolini
Mitte, die Baracken des Konsortiums an den Seiten samt Wasserturm – waren ein paar Tage zuvor abgerissen worden, sie waren nicht mehr da, aber die Lastwagen, die den Schotter für den Unterbau herankarrten, sanken mit sämtlichen Rädern ein und kamen nicht mehr von der Stelle. Da gab Cencelli schon am frühen Nachmittag Befehl, sämtliche Traktoren aus den Depots holen zu lassen und zum Abschleppen der Lastwagen einzusetzen – auch zwei oder drei Traktoren pro LKW . Um zehn Uhr abends, als alle die Hoffnung aufgaben, verließ Cencelli die Piazza und ging schlafen. Onkel Benassi hörte genau, wie er sagte: »Scheißdreck verreck« – er war aus Rieti – »komme, was da wolle.« Nur für die Hälfte der Piazza war der Unterbau mehr oder weniger fertig; für die andere Hälfte mochte der liebe Gott sorgen. »Tut, was ihr könnt«, sagte Cencelli resigniert zu Technikern und Arbeitern.
Als er aber am Morgen des 18. Dezember um acht Uhr dort wieder aufkreuzte und der Himmel immer noch bedeckt war und es immer noch leicht regnete – die Sonne kam erst zwei Stunden später mit einem Schlag heraus, als der Wagen des Duce auf die Piazza einbog –, sah er den Platz vollkommen fertig vor sich, glattgewalzt und asphaltiert, die Randleisten aus Travertin ordentlich verlegt, die Gehsteige ebenfalls fertig, sämtliche Straßenlaternen an der Piazza aufgestellt und in den Grünanlagen in der Mitte auch schon ein paar Bäumchen gepflanzt. Er konnte es gar nicht glauben. »Sehr gut! Einen halben Tageslohn extra für alle!«, sagte Cencelli.
Onkel Benassi erzählte uns allerdings immer, dass sich irgendwann in der Nacht – in dem ganzen Hin und Her von Traktoren und Lastwagen und im strömenden Regen – ein Abgrund aufgetan hatte, ungefähr in der Mitte des Platzes, genau dort, wo heute der runde Brunnen mit der Marmorkugel steht, weshalb fast alle in Latina diesen Platz nicht Piazza del popolo nennen, sondern Piazza della palla. Ich weiß nicht, was genau passiert ist – ob ein Hohlraum in den tieferen Schichten eingebrochen ist –, auch weil Onkel Benassi es uns nie erklärt hat. Jedenfalls tat sich dieser Abgrund auf, erzählte er, und verschluckte den ganzen Schlamm, Schlick und Morast im Umkreis.
Und wie es so geht, der mit Schotter voll beladene 18 BL , der zum Abladen dort bereitstand, wurde ebenfalls von dem Schlammfluss erfasst und mit in den Abgrund gerissen. Onkel Benassi erzählte, er habe gerade noch rechtzeitig mit der Axt das Seil hinter sich durchtrennen können, mit dem der Lastwagen an seinem Pavesi hing, sonst wäre er mitsamt seinem Gefährt auch mit in den Strudel hinabgerissen worden. Zehn Meter waren sie schon abgerutscht, aber dann hatte er zack! gerade noch rechtzeitig das Seil gekappt. Tatsache ist jedenfalls, dass der 18 BL in diesem Schlund voller Schlamm, Schlick und Fließsand steckenblieb, halb drin, halb draußen. Sie legten noch einmal Seile an und versuchten, ihn mit vier Pavesi herauszuziehen, aber da war nichts zu machen: »Das war der Teufel persönlich, der ihn dort festgehalten hat«, sagte Onkel Benassi. Ein Versuch, noch ein Versuch, aber irgendwann sagte einer der Assistenten: »Wir verlieren zu viel Zeit.« Man ließ andere Lastwagen mit Steinen kommen, löste die Seile und ließ diesen 18 BL in dem ganzen Morast untergehen. »Fahr doch zur Hölle«, und wie er nach und nach versank, schüttete man ihn sorgfältig mit Steinen zu. Das Schotterbett auslegen, den Split aufwalzen, und als die Piazza fertig war, dämmerte der Morgen. Alles aufräumen und schön herrichten, und die Einweihung konnte losgehen. Der Lastwagen ist noch immer dort, in der Mitte der Piazza del popolo unter dem Brunnen mit der Kugel vor dem Rathausturm, zusammen mit dem Kätzchen des Fahrers, das er, als er hastig heraussprang und sich in Sicherheit bringen wollte, im Führerhaus vergessen hatte. Und während der 18 BL versank, schrie das verängstigte Kätzchen: »Miau! Miau!«
Nun ist mir völlig klar, dass diese Geschichte nicht hundertprozentig glaubwürdig ist. Es ist eine Geschichte, die Onkel Benassi uns Kindern erzählte. Es kann sein, dass er sie aufgebläht hat. Nein, ganz sicher ist das so. Aber es ist eine Geschichte, die sich in Latina alle erzählen. Nicht nur Onkel Benassi, alle älteren Siedler erzählen sie, und es gibt keinen Großvater in Latina, der nicht seinem Enkel, wenn er mit ihm am Brunnen vorbeikommt, diese Geschichte noch einmal erzählt und ihm auch Münzen zum Hineinwerfen
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