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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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gilt’s«, ließ Fürst Caetani durch den Mund seiner Pfaffen verkünden –, und sie schossen auf die cispadanischen und französischen Wachposten, um weiterhin die Kanäle demolieren zu können. Bekanntlich konnte Napoleon dann nicht genug bekommen, setzte sich in den Kopf, Freiheit und Demokratie von den Alpen bis zu den Pyramiden zu verbreiten, und wir ließen die Kanalufer hinter uns und folgten ihm, auch wenn unsere Marokkaner in der Zwischenzeit alles wieder versumpfen ließen. Aber er sagte: »Was macht das schon? Gleich, wenn wir zurückkommen, brechen wir ihnen sämtliche Knochen, diesen reaktionären Apache-Wilden aus den Sümpfen.« Doch dann kam er auf die Idee, Fortschritt und Gleichheit auch nach Russland zu tragen, und auch da ging einer von uns mit, dieser Verwandte von uns – ich glaube, mein Ururgroßvater –, der als einziger Cispadanier und Ferrareser wieder nach Hause kam, seine sämtlichen Freunde waren unterwegs erfroren, eine Kolonne von Eisstatuen am Weg des Rückmarschs. Er aber kam zurück mit einem Schatz, den er wer weiß wo gefunden hatte und den er ganz in Wassermühlen auf dem Po steckte; seine Enkel haben die dann verjubelt, das habe ich Ihnen, glaube ich, schon erzählt, und bei der Generation meines Großvaters angekommen, waren wir erneut Hungerleider, schlimmer als vorher.
    Zurück aus Russland jedenfalls danke schön und auf Wiedersehen: Napoleon in Sankt Helena und wir in Cispadanien, jeder bei sich zu Hause. Der Papst kam zurück nach Rom – der neue Papst, nicht Pius VI ., der war in der Zwischenzeit gestorben: »Fahrt doch zur Hölle, Ihr und die Pontinischen Sümpfe« –, und Fürst Caetani planschte in Sermoneta wieder mit seinen Fröschen. Danke schön und auf Wiedersehen also auch für die Trockenlegung: Der Sumpf war wieder alleiniger Herrscher in der Gegend. Wer konnte diese Marokkaner da bewegen? Nicht einmal der Fascio. Und als wir kamen, fingen sie wieder an, auf uns loszugehen.
    Wie bitte, was sagen Sie? Dass es immerhin eine Tatsache ist, dass sie vor uns dort waren?
    Ohne Zweifel. Aber den Fortschritt haben wir gebracht. Und auch der Fortschritt hat seine Berechtigung, oder nicht? Jeder auf dieser Welt hat seine guten Gründe, und ich – damit das klar ist – habe nicht den Anspruch, Ihnen hier die geoffenbarte Wahrheit zu erzählen, die absolute und vollkommene Wahrheit, die nur Gott allein kennt. Ich erzähle Ihnen die Wahrheit der Peruzzi, wie meine Onkel sie mir erzählt haben und wie sie sie erlebt haben. Wenn Sie die andere Seite und deren Gründe hören wollen, müssen Sie dorthin gehen. Jeder hat seine guten Gründe. Bei uns bekommen Sie nur die unseren zu hören, aber auch die Anopheles-Mücke zum Beispiel – behauptete Onkel Adelchi – »hat ihre guten Gründe. Ich bin eine Mücke, sagt sie sich, und ich muss stechen. Auch die Abessinier, mein Junge, hatten ihre Gründe.«
    Das sagte Onkel Adelchi natürlich erst später – sehr viel später –, zu der Zeit, als Sie sich an ihn in der Uniform eines Verkehrspolizisten in Latina Scalo erinnern, als er mehr Friedensrichter war als Sheriff.
    Vorher aber – als er noch Sheriff war – sah er das nicht so und sagte, dass wir, wie Napoleon, die Zivilisation hierhergebracht hätten, genauso wie nach Afrika, nach Abessinien, und dass sie uns nur dankbar sein müssten. Er änderte seine Meinung – oder es regte sich doch ein Zweifel in ihm – damals, als am Ende einer Rede von ihm plötzlich mein Vetter Manrico aufstand, einer der Söhne von Onkel Benassi, der damals knapp zehn Jahre alt gewesen sein dürfte.
    Es war bei einer dieser Hochzeitsfeiern in der Familie – ich erinnere mich noch daran, als ob es gestern wäre –, und am Tisch gegenüber von Onkel Adelchi saß ein Verwandter des Bräutigams, ein halber Professor. Nach mehreren Gläschen Wein waren sie ins Debattieren gekommen und hatten sich nach und nach erhitzt.
    Irgendwann sagte Onkel Adelchi – wie von einem seiner Wutanfälle gepackt, zunächst mit leiser Stimme und einem spöttischen Lächeln auf den Lippen – zu ihm: Wie bitte, was sagen Sie? Sie sagen, wir waren Besatzer und sind bei ihnen eingedrungen, um sie auszurauben? Nein, Sie verstehen das nicht, wir sind hingegangen und haben ihnen die Zivilisation gebracht. Wir haben sie nicht ausgebeutet. Schauen Sie sich doch nur an, wie es ihnen jetzt geht, um zwei Jahrhunderte sind sie zurückgefallen. Sie verhungern. Krankheiten und Seuchen. Wir haben ihnen die Zivilisation

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