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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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den Hof. Dort lernte sie sofort venetischen Dialekt sprechen und musste ihren eigenen ablegen oder vergessen, wie meine Tante Nazzarena, die aus Cori stammte, einem Dorf in den Bergen zwischen Norma und Roccamassima.
    Dort litten sie noch schlimmeren Hunger als wir, und als wir anfingen, in der Ebene Weizen anzubauen, kamen die Frauen aus den Bergen zum Nachlesen, und da kam eben auch diese Nazzarena. Sie war ein schönes Mädchen. Großmutter war nie abweisend, sie war freundlich, und diese Nazzarena kam weiterhin gelegentlich – von ihren Bergen herunter und wieder hinauf – als Tagelöhnerin. Sie war es, die die ersten Oliven mitbrachte, und Großmutter warf sie weg. Wer hingegen ein Auge auf sie geworfen hatte, war Onkel Adrasto, einer der jüngeren, der 1933 – als wir zum ersten Mal sozusagen eine Weizenernte hatten – sechzehn oder siebzehn Jahre alt war. Sie dürfte vierzehn oder fünfzehn gewesen sein, sie sprach diesen seltsamen Dialekt, aber sie war schön, und Onkel Adrasto begann nun, seinerseits mit dem Fahrrad in die Berge hinauf- und wieder herunterzufahren, zwei Mal in der Woche. Vom Hof radelte er immer in vollem Tempo los, aber in Doganella, wo die erste Steigung beginnt, fing er an zu fluchen. Wenn er dann auf der Bergstrecke war – und sie wohnte nicht einmal in Cori Basso, der Ort ist zweigeteilt, sie wohnte im oberen Teil, in Cori Alto –, sich abstrampelte, irgendwann absteigen und das Rad keuchend hochschieben musste, sagte er jedes Mal: »Basta, ich komm nicht mehr. Ich such mir eine andere in der Ebene.« Doch wenn er dort war und sie sah – und vor allem auf dem Heimweg, wenn es abwärts ging –, bekam er sofort Lust, recht bald wiederzukommen. Doch ein ums andere Mal diese Strapaze – sobald sie konnten, heirateten sie, und er holte sie hinunter auf den Hof: »Nie mehr in die Berge.«
    Am Anfang gefiel es ihr – weil Adrasto ihr gefiel –, aber als sie sich als sechzehn- oder siebzehnjähriges Ding unter all diesen Leuten wiederfand, die im ganzen Haus, in jedem Zimmer, auf dem Feld, im Stall oder auf dem Hof, auf der Tenne zu ihr sagten: »Tòli la scaràna« , und sie nicht verstand, dass gemeint war, sie solle den Stuhl beiseitestellen, oder »Ciàpa la granàta« , und sie nicht verstand, dass das hieß, sie solle den Besen nehmen, fühlte sie sich verloren.
    Irgendwann hörten sie überhaupt auf, mit ihr zu sprechen, sie redeten untereinander, als ob sie Luft wäre, oder sie brachten ihr die Dinge mit Gesten bei – fremd unter Fremden –, und wenn sich abends alle im Stall zum filò zusammenfanden, setzte sie sich draußen auf den Rand das Wassertrogs und weinte. Was sollte sie tun? Sie lernte das Venetische – und vergaß ihren eigenen Dialekt ganz –, und wenn Sie heute mit Nazzarena sprechen, dann werden Sie sehen, dass sie besser Venetisch spricht als Sie, Mara Venier und ich. Aber bei alledem blieb sie doch stets eine Marokkanerin. Und da ist nichts daran zu machen, das ist wie die Erbsünde.
    Sie müssen bedenken, in den patriarchalisch organisierten Siedlerfamilien wurde die Schwiegertochter, die zuletzt ins Haus kam, nie bei ihrem Namen gerufen – Giulia, Francesca oder Maria –, auch vom Ehemann nicht. Man rief sie einfach »sposa« , »Braut«, und wenn aus irgendeinem Grund jemand vom Hof in den Borgo fuhr – zum Schmied oder zur Ausgabestelle, in den Eisenwarenladen oder ins Wirtshaus –, war es gang und gäbe und eine Sache der guten Erziehung, dass die Leute fragten: »Wie geht’s der Braut?« Die wurde erst dann wieder mit ihrem Taufnamen gerufen – Rosa, Maria oder wie auch immer –, wenn durch Hochzeit eine neue Schwiegertochter ins Haus kam. Wenn aber niemand mehr heiratete, hieß sie ihr Leben lang Braut, und es fehlte nicht viel, und man hätte ihr auch auf den Grabstein noch »Braut« gesetzt. Bei Tante Nazzarena und anderen naturalisierten Veneterinnen wie ihr fragten die Leute allerdings nur: »Wie geht’s der Marokkanerin?« Meine Tante konnte darüber Tränen vergießen, da machen Sie sich gar keine Vorstellung. Es ist jedenfalls immer der venetische Mann, der eine marokkanische Frau nimmt. Niemals umgekehrt.
    Wie bitte, was sagen Sie? Sie wollen wissen, wieso dann Tante Bissola und Lanzidei?
    Aber was für Überlegungen sind denn das? Nun hören Sie mal zu, hier ist die Rede von Qualitätsware, wenn man so sagen darf, von erstklassiger Ware. Beschädigte Ware, das steht auf einem anderen Blatt. Zweite Wahl kann man durchaus auch

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