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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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stieg er von einer Seite des Fahrrads auf die andere, und es gelang ihm nicht mehr, in den Sattel zu kommen, wenigstens nicht, solang der Rausch anhielt. Jahrelang ging das gut, dann hingegen eines Abends auf der Via Appia nicht mehr. Ein Auto hat ihn voll erwischt.
    Manchmal kommt mir der Verdacht, dass die fünfundzwanzigtausend Gastwirte, die 1928 in ganz Italien arbeitslos wurden, womöglich alle in den Agro Pontino gezogen sein könnten. Allein in Borgo Carso gab es drei Wirtshäuser – und jedes mit seiner Bocciabahn –, und es gibt ich weiß nicht wie viel Dutzende von Kreuzungen zwischen den Siedlungsstraßen, die noch heute »Baracchetta« heißen, wegen der Holzbaracken mit Weinausschank, die ein unternehmerischer Geist dort recht und schlecht zusammengezimmert hatte. Hier in den Pontinischen Sümpfen kamen zuerst die Gastwirte und dann die Siedler und Bauern.
    Und dass Mussolini abstinent gewesen sein soll – wie es heißt –, ist noch so ein Quatsch. Es sieht so aus, als hätte er nur Wasser getrunken und literweise Milch. Nun weiß ich nicht, was er bei sich zu Hause trank. Bei sich zu Hause mag er ja abstinent gewesen sein – das will ich nicht in Abrede stellen –, aber bei uns, bei den Peruzzi, trank er, und wie. Und nicht nur bei uns, sondern auf allen anderen Höfen auch, denn Sie müssen wissen, nach jenem Mal, als er nicht zur Grundsteinlegung von Littoria kommen wollte, fand er Geschmack an der Sache und war ständig hier. Nicht nur offiziell auf Besuch im Auto und mit Eskorte, sondern vor allem allein auf dem Motorrad, einer Guzzi 500 Falcone Sport – töff töff töff machte die im Leerlauf –, und inkognito, um zu inspizieren. Und wenn er dann zurückkam, war jedes Mal Heulen und Zähneknirschen. Rossoni erzählte, sofort habe es dann in alle Richtungen mörderische Befehle und Anweisungen gehagelt: »An dem und dem Kanal steht das Gras zu hoch, mähen lassen. Auf der Straße ist ein Schlagloch, reparieren. Welcher Idiot hat in Littoria die Eukalyptusbäume so stutzen lassen? In die Verbannung schicken.«
    Er war ständig hier, sagte ich Ihnen ja schon – scheinbar hatte er in Littoria eine feste Geliebte, der er eine Tankstelle mit Werkstatt und Garage einrichten ließ, die bis heute eine architektonische Sehenswürdigkeit ist –, und in fast allen Höfen finden Sie das Foto von Großvater und Großmutter neben dem Duce, der ein Glas Rotwein Clinto oder Clintone trinkt, wie auch immer der heißt, wir nennen ihnen jedenfalls Clintón. Der Anbau dieser Rebsorte ist wegen ihres hohen Anteils an giftigen Zyanidsäuren und der hohen Konzentration an Methanol, die den Sehnerv und die Gehirnzellen schädigen, in der gesamten EU verboten. Kurzum, dieser Wein ist ein Massenvernichtungsmittel: Entweder man stirbt daran, oder man wird blind und blöd. Aber er war gut, und falls Sie interessiert sind, kann ich Ihnen noch ein paar Flaschen davon beschaffen, denn gut versteckt wie ein illegaler Einwanderer, aber gehätschelt wie ein Fußballstar finden sich hier und da in Venetien, im Friaul und eben im Agro Pontino noch ein paar Rebreihen davon. Aber sagen Sie das ja nicht in der EU .
    Bei uns machte der Duce zum ersten Mal bald nach der Einweihung von Littoria halt. In Begleitung von Cencelli und einer ganzen Wagenkolonne fuhr er auf der Parallela Sinistra entlang, und Cencelli führte ihm vor, was sie verwirklicht hatten. Im Vorbeifahren sieht er meine Großmutter auf der Brücke: »Aber die kenne ich doch«, sagt er zu Cencelli. Und dann sofort zum Fahrer: »Anhalten, anhalten, fahr zurück.«
    Der legt den Rückwärtsgang ein – es fehlte nicht viel, und sie hätten den Wagen der Ovra gerammt, der dahinter kam –, sie fahren zurück zur Brücke, und er springt raus: »Peruzzi! Gibt es zufällig irgendwelche Eggen zu reparieren?«
    Da hätten Sie Großmutter sehen sollen! Sie war ziemlich eingeschüchtert – das war ja mittlerweile der Duce, nicht mehr der Grünschnabel, der als junger Mann bei ihr im Haus gewesen war –, und eingeschüchtert war die ganze Familie, sogar Großvater. Großmutter ließ sich aber nicht beirren, die Schüchternheit behielt sie ganz für sich; sie streckte die Brust raus, straffte sich in den Schultern und antwortete ihm: »Von wegen Eggen, hier gäb es noch ganz anderes zu richten.«
    Cencelli machte ein Gesicht – erzählte Tante Bissola –, als hätte man ihm Scheiße zu essen gegeben. Der Duce dagegen lachte und sagte zu Großvater: »Die Jahre vergehen,

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