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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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böses Gesicht, na, das kann ich Ihnen sagen, und dann – kaum tauchte er in ihrem Gesichtskreis auf – zeterte sie die ganze Woche lang wirklich wie eine Verrückte im ganzen Haus herum.
    »Aber was hat Mama denn bloß?«, fragten alle.
    »Aber was zum Teufel weiß denn ich, was deine Mama hat?«, entgegnete er.
    Am folgenden Sonntag jedoch stand sie früh am Morgen auf und fing an, im ganzen Hof herumzuplärren: »Aufwachen! Alles aufstehen! Es ist Sonntag! Alles in die Kirche!«
    »In die Kirche?«, fragte der eine. »Aber ich war doch erst an Weihnachten dort«, sagte der andere. Aber es gab kein Entrinnen. Sie holte alle aus dem Bett, gewaschen, rasiert und ordentlich angezogen wollte sie sie sehen, das heißt sauber und mit Schuhen. Sogar Onkel Pericle bemerkte »In die Messe gehen wir«, und er und Onkel Iseo mussten lachen. Armida hingegen war gleich ganz begeistert, nicht wegen der Kirche an sich, sondern weil sie alle miteinander in den Borgo gingen, zusammen mit den Kindern und den Männern im Sonntagsstaat. So stieg auch in Großvater irgendwann ein Zweifel auf, und er fragte: »Ja, ich vielleicht auch?«
    »Du auch, du auch!«, hob Großmutter wieder an zu zetern: »Neue Heimat, neues Leben. Von heute an gehen die Peruzzi sonntags immer in die Kirche.«
    »Die Peruzzi?«, fragte er. »Aber Peruzzi bin doch ich! Seit wann bist du denn eine Peruzzi? Ich komme nicht mit«, und er blieb zu Hause. »Ich hüte das Haus«, sagte er zum Letzten, wie um einen Ansatzpunkt für eine mögliche Versöhnung zu bieten.
    »Was willst du denn hüten?«, herrschte sie ihn vom Karren herab an. »Wovor hast du denn Angst, dass die Sezzeser kommen und alles mitnehmen?«
    Also blieb er zu Hause. »Monti und Tognetti …«, sagte er, »Monti und Tognetti!« Aber nach einem Weilchen dachte er: »Und warum soll ich eigentlich nicht ins Wirtshaus gehen? Die Sezzeser kommen ja doch nicht.« Er ging in den Stall, sattelte das einzige zurückgebliebene Maultier und ritt zum Wirtshaus.
    Als er aber dort ankam und sah, dass niemand da war, traf ihn der Schlag: »Wo sind denn alle hin?«, fragte er den Wirt beunruhigt.
    »In der Kirche. Alle sind in der Kirche.«
    »Au, verdammte Scheiße«, sagte Großvater, und am nächsten Sonntag musste er auch in die Kirche. Was sollte er sonst tun, als der letzte Mohikaner.
    Er und seine Freunde stellten sich auf der Männerseite ganz hinten hin – wenn man reinkommt links, die Frauen dagegen rechts; die Kinder, Jungen wie Mädchen, bei den Müttern, nach der Firmung gingen die Jungen auch nach links, aber vorn in den ersten Reihen, die Alten hinten –, und kaum war der Priester hereingekommen und hatte zwei Gebete gesprochen, bekreuzigten sie sich, ein flüchtig gebeugtes Knie und ab ins Wirtshaus. Man hatte Präsenz gezeigt, die Karte war gestempelt.
    Ein andermal jedoch sagte Großmutter auf dem Heimweg ganz unbestimmt: »Ich hab mich in der Kirche umgeschaut, hab dich aber nicht gesehen.«
    »Ach, du wirst nicht genau geschaut haben, ich war wohl verdeckt, es waren so viele Leute …«
    »Ah ja«, gab sie zurück. »Dann wiederhol mir doch mal die Predigt, erzähl mir, was der Pfarrer nach dem Evangelium gesagt hat?«
    »Du verfluchtes Luder!«, schrie er, und am folgenden Sonntag musste er bis zur Predigt bleiben. Doch dann zog er seine Lehren aus der Sache: Mit seinen Freunden ging er sofort wieder aus der Kirche hinaus, noch bevor der Priester das Introibus ad altare dei beendet hatte, aber wenn die Messe aus war und der erste kleine Junge am Wirtshaus vorbeikam, fragten ihn alle gleich aus: »Was hat der Pfarrer gesagt?«
    »Dies und das.«
    »Bestens!« Er war für das Examen gerüstet.
    Von da an gab es jedoch kein Entrinnen mehr: die ganze Familie tief katholisch. Aber die anderen genauso. Auch die Friauler und die Ferraresen. Nicht nur die Veneter, die schon in Oberitalien immer ein bisschen bigott gewesen waren. Auch die anderen, solche wie wir, die dort oben das Weihwasser eher gescheut hatten. Hier fand es mehr Zuspruch als der Wein, und geh heute in die Kirche, geh morgen, das Laster greift um sich, wie Sie wissen, und so fing das an, dass wir von morgens bis abends beteten, auch zu Hause und auch an Wochentagen. Beten gleich nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen – Großmutter schlug einen, wenn man es nicht tat – und vor jeder Mahlzeit: »Kreuzzeichen und Dankgebet.« Auch Großvater musste sich bekreuzigen. »Aber Monti und Tognetti?«, versuchte er einmal

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