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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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einzuwenden.
    »Sie sollen in Frieden ruhen, das wird ja langsam Zeit, du aber geh zum Teufel mitsamt ihnen«, und er musste den Mund halten – »Verfluchtes Luder«, sagte er nur still bei sich –, und wehe, es fiel ein Schimpfwort im Haus: »Sind wir hier vielleicht im Stall?« Das schien kein Bauernhof mehr, sondern ein Kloster.
    Wie bitte, was sagen Sie? Ihrer Meinung nach ist diese Bekehrung ganz auf die Sache mit dem Priester von Comacchio zurückzuführen?
    Das glaube ich nicht. Das war neun Jahre früher passiert. Wenn es nur darum gegangen wäre, diesen Fehler in irgendeiner Weise wiedergutzumachen, hätte Großmutter noch in Oberitalien alle Zeit dafür gehabt und hätte nicht abzuwarten brauchen, bis wir hierherkamen. Und dann, alles was recht ist, den Priester von Comacchio haben nur wir umgebracht, die anderen doch nicht. Wen hatten die anderen denn umgebracht, dass sie sich auch bekehrten und auf jedem Bauernhof des Agro Pontino gebetet wurde wie bei den Mönchen? Den Monat Mai hätten Sie erleben sollen – Sie können das aber auch heute noch sehen, Sie brauchen nur an einem Maiabend einen kleinen Spaziergang auf den Straßen zwischen den Höfen zu machen, vorbei an den Marienstatuen und den Kapellchen, die wir an jeder Kreuzung aufgestellt haben –, sämtliche Familien zum Rosenkranz versammelt. Und es gibt keine Familie, kann man sagen, in der nicht wenigstens ein Angehöriger Priester ist. Das muss etwas anderes gewesen sein, glauben Sie mir – Großmutter war schließlich nicht blöd –, es muss eine Frage der Integration gewesen sein.
    Sehen Sie, von Anfang an haben wir mit unseren Nachbarn untereinander Arbeitstage und landwirtschaftliches Gerät ausgetauscht, ja, sogar Vieh. Es bestand da sofort eine unumschränkte Solidarität, gegenseitige Hilfsbereitschaft – eine verschworene Gemeinschaft, wie man heute sagt –, ausgehend von diesem Exodus, den wir alle gemeinsam durchgemacht hatten. Pilgrim Fathers. Und Arbeiten wie Getreideernte, Unkrautjäten mit der Hacke, Baumwollpflücken, Rüben- oder Kiwiernte oder Traubenlese wurden immer alle gemeinsam gemacht, erst auf dem einen Hof und dann auf dem nächsten. Und Sie hätten die Leute sehen sollen, in der Sonne alle in einer Reihe, jeder mit seinem breitkrempigen Strohhut, zum Boden hinabgebeugt, singend und schwatzend beim Herausholen der Zuckerrüben.
    Aus Venetien hatten wir die Tradition des filò mitgebracht, dieses abendliche Beisammensein nach dem Abendessen, mal auf dem einen Hof, mal auf dem anderen, wo man sich Geschichten, Schnurren, Märchen und derlei Dinge erzählte, bei Kerzenschein oder beim Licht der Petroleumlampe. Im Winter kam man im Stall zusammen, bei den Tieren, wo es wärmer war. Sie hätten die Leute sehen sollen, wie sie sich von zu Hause einen Stuhl oder Hocker mitbrachten, um nicht stehen zu müssen. Ab und zu hob eine Kuh den Schwanz, und da stoben alle auseinander, bevor sie pisste und alles vollspritzte. Und jeder lachte. Im Sommer dagegen kam man auf der Straße zusammen, auf den Brückengeländern. Und dieses venetische Ritual des filò – von Hof zu Hof ziehen und schwatzen – verbreitete sich sofort auch bei den anderen, auch bei denen aus der Emilia oder aus dem Friaul, die das nicht kannten, weil sie in Ortschaften lebten. Zum filò kam dann der Tanz auf der Tenne hinzu, was wiederum eigentlich für die Ferrareser typisch ist. Die Veneter waren ein bisschen bigotter, aber einmal hier, gewöhnten sie sich ans Tanzen – wie die Ferraresen an den filò – und begeisterten sich dafür. Schlimm war nur, wenn jemand aus den umliegenden Dörfern kam, dann gab es Ärger.
    Wir bildeten jedenfalls eine Enklave, von zu Hause Verpflanzte, die es mitten ins »Land der Marokker« verschlagen hatte – wie Tante Bissola sagte –, »die uns so gut leiden konnten wie die Krätze«. Das heißt nicht, dass wir nicht irgendwie – so nach und nach – gelernt hätten, mit ihnen auszukommen. Onkel Adelchi zum Beispiel wurde, wie ich Ihnen schon sagte, Gevatter von einem aus Cisterna. Aber das waren Einzelfälle, und auch Mischehen – die ja ein Indikator für die beginnende Integration zwischen verschiedenen Ethnien sind – gab es schon gleich in den ersten Jahren, aber sie bewahrten doch immer einen, sagen wir mal, imperialistischen Charakter.
    Anfangs funktionierte die Mischehe nämlich ausschließlich in einer Richtung: Der venetische Mann heiratete eine Frau aus den Lepiner Bergen und holte sie in die Ebene, auf

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