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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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umsonst abgeben. Tante Santapace und Benassi zum Beispiel, das ist auch so eine Sache, wo man nie recht verstanden hat, wie das zugegangen ist. Meine Onkel waren da mit dem Erzählen etwas zurückhaltend und brachten immer wieder alles durcheinander, der eine sagte dies, der andere das. Ich weiß nicht, es muss da auch was Uneheliches gegeben haben, meinen Sie, sonst hätten meine Onkel eine achtzehnjährige Färse wie meine Tante Santapace so ohne weiteres einem zweiunddreißigjährigen Halbmarokkaner wie dem Benassi gegeben? Und wenn Sie wüssten, wie oft Onkel Pericle ihn zum Besten hatte. Dabei hielt er aber doch große Stücke auf ihn: »Benassi hier, Benassi dort«, dann aber hörte er nicht auf ihn und verkaufte den Traktor, trotzdem hielt er große Stücke auf ihn. Und umgekehrt Benassi auf ihn. Auch Onkel Iseo. Und auch Temistocle. Wer weiß, was da dahintersteckte.
    Erst einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in den fünfziger und sechziger Jahren, kam es dann auch zu Eheschließungen in umgekehrter Richtung, also veneto-cispadanische Frauen, die einen Marokkaner aus den Lepiner Bergen heirateten. Aber der Wohnsitz der neuen Familie hatte unumgänglich in der Ebene zu sein. Es gibt keine einzige venetische Frau in den Lepiner Bergen, und die einzige, von der man je gehört hätte, war die Mutter eines gewissen Lidano Sensucci, Leiter der Resistenza Lepina und Autor des berühmten Zweizeilers Il sogno del sezzese la mattina / è affaciarsi e non veder Latina – Der Traum jedes Sezzesers beim Hinausschauen am Morgen / ist Latina nicht mehr zu sehen. Gründliche Nachforschungen haben aber ergeben, dass auch in diesem Fall der Vater in die Ebene hinunter, nach Santa Fecitola ziehen musste, und er – Lidano Sensucci – sprach den Sezzeser Dialekt nur, weil sein Großvater ihn ab und zu nach Sezze mitnahm und ein Weilchen nicht wieder zurückbrachte. Ihn praktisch entführte. Wie im Western. Wasp gegen Apache. Da hätte es eines John Wayne bedurft, um Lidano Sensucci zu befreien. Aber wen kümmert das heute noch? Das sind jedenfalls die Heiratsregeln, wie sie seit Anbeginn der Welt für alle imperialistischen Situationen kennzeichnend sind. Wenn man ein Gebiet erobert, funktionieren die Hochzeiten so, und auch in Eritrea und in Abessinien konnten wir alle schwarzen Frauen haben, die wir wollten – als Ehefrauen, Geliebte, Konkubinen –, aber versuchen Sie mal, sich vorzustellen, was einem Abessinier passiert wäre, wenn er sich eine Italienerin genommen hätte.
    Leider haben wir unseren Marokkanern aus den Lepiner Bergen hier nur den Boden und die Frauen weggenommen. In allem Übrigen aber waren wir ihnen sozusagen ausgeliefert. Denn in der Tat waren wir ohne eigene Elite oder Führungspersonal hierhergekommen. Wir waren bloß Habenichtse, ohne Land, ohne Gut und ohne Herkommen, und die Führungsklasse stellten hier die anderen. Lehrer, Professoren, Ärzte, Anwälte und Politiker – das waren alles Marokkaner aus den Lepiner Bergen, die sofort nach Littoria zogen und dort das Kommando übernahmen. Und jedes Mal, wenn wir etwas brauchten – einen Arzt, einen Notar oder einen Anwalt –, mussten wir zu ihnen gehen, Eier und Hühner mit dabei. Auch wenn wir dann, kaum heraußen, unter uns sagten: »Aber was willst du denn, was soll der denn schon verstehen? Ist ja ein Marokkaner.«
    Jedenfalls, wenn heute von den Siedlern im Agro Pontino die Rede ist, spricht man ständig von »Venetern« und meint damit alle. In Wirklichkeit hat Venetien zu dieser Emigration zwar einen beträchtlichen Beitrag geleistet, aber es war nicht allein. Von den dreitausend Familien, die die ONC ursprünglich herunterbrachte, stammte nur ein Drittel aus Venetien, die anderen zwei Drittel aus dem Friaul und dem Ferraresischen. Jenseits der Via Appia dagegen, in den privat und von den Caetani urbar gemachten Gebieten, wurden Bauern aus Umbrien und den Marken angesiedelt – wie Onkel Benassi, der Umbrier war – und in den Almendegebieten Leute aus Bassiano, Cisterna, Sermoneta und Sezze. In der anschließenden Phase vergab die ONC in Aprilia und Pomezia Höfe auch an Familien, die schon früher nach Frankreich, nach Rumänien oder Bosnien-Herzegowina ausgewandert waren. Sie holte sie zurück ins Vaterland. In Pomezia siedelte sie auch Familien aus der Romagna an, aus der Provinz Forlí, Landsleute des Duce.
    Wir unter uns bezeichnen uns als »Veneter«, »Friauler« oder »Ferraresen«, je nachdem. Aber für diejenigen, die uns von

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