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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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außen betrachten, sind wir allesamt ohne Unterschied »Veneter«, und das geht so weit, dass wir eine neue, eigenständige ethnische Gruppe bilden, die der »Veneto-Pontiner« nämlich. Und wissen Sie, warum? Weil all die Unterschiede, die unter uns Siedlern aus Oberitalien im Einzelnen bestehen mochten, nichts waren im Vergleich zu dem radikalen Unterschied zwischen uns und der heimischen Bevölkerung der Lepiner Berge. Für uns waren das alles Marokkaner, einschließlich derer aus Umbrien und den Marken: Nordmarokkaner, sagen wir mal so.
    Wie Sie jedoch wissen, macht der Teufel oft Töpfe, aber nicht auch die Deckel dazu, und dieser Prozess der kollektiven veneto-pontinischen Assimilation und Integration wirkte nicht nur vom Agro nach außen, sondern auch im Inneren, in der Unterscheidung zwischen Stadt und Land. Tatsächlich bestand der erste Kern der Einwohnerschaft in Littoria aus Familien der mittleren Angestelltenschicht, die aus Rom gekommen waren, und wir, die wir auf dem Land lebten, wurden von ihnen unterschiedslos als Veneter wahrgenommen. Ja, wenn wir in der Stadt waren, riefen sie uns »Bepi« oder »Beppi« oder colono , »Siedler«. Colono ist in den Städten des Agro Pontino schlimmer als »Neger« und bezeichnet in ihren Augen einen grobschlächtigen, einfältigen Menschen, ungebildet und zurückgeblieben, mit der Bedeutung so ungefähr wie »Depp« oder »Trottel«. Und wenn für uns die Bewohner der Lepiner Berge allesamt Apachen waren und die aus Umbrien und den Marken Sioux, waren wir für die aus Littoria Wasp, aber vom Land. Wir Missouri, sie New York. Die Sezzeser waren Sezzeser und basta.
    Wir waren also nichts weiter als eine bäuerliche Enklave zwischen zwei Fronten: Außen umschlossen vom Mare magnum marocchinorum und im Inneren bedrängt von der Arroganz einer römisch-städtischen Clique. Was sollten wir tun? Uns zusammenschließen oder zugrunde gehen. So haben wir uns zusammengeschlossen. Sicher, da waren die Einrichtungen der ONC und der Faschistischen Partei, die in diesem Sinne wirkten, sich also bemühten, die Bauernschaft zu einem einheitlichen Block zusammenzuschließen, die kritische Masse, die das Überleben des Faschismus durch die Jahrhunderte garantieren sollte. Folglich Ferienkolonien für Kinder am Meer, Übungen der Balilla, Zeltlager Dux, paramilitärischer Drill, in jedem Dorf ein Kino, Wochenschauen, der Karren der Thespis, der das Theater überallhin brachte, auf jeden Platz, die rollende Bibliothek, das faschistische Epiphaniesfest, Arbeitslosenversicherung, Haus des Bauern, Haus des Fascio, Dopolavoro.
    Aber wir unsererseits waren auch nicht untätig; zusätzlich zu den nachbarschaftlichen Beziehungen – die sozusagen mit dem Exodus selbst entstanden waren, sich aus ihm ergaben – knüpften wir sofort auch im Borgo Beziehungen an: auf der Post, bei der Ausgabestelle, beim Schmied, in der landwirtschaftlichen Versorgungsstelle und vor allem im Wirtshaus. Gewisse amerikanische Historiker behaupten ja, in den Dorfzentren des Agro Pontino hätte es keine Bars und keine Wirtshäuser gegeben: »Der Fascio hatte sie verboten, um Sozialisierungseffekte unter den Siedlern zu verhindern, um sie schön isoliert zu halten und damit besser zu kontrollieren.« Aber das stimmt doch gar nicht, das ist reiner Quatsch. Ich bestreite ja nicht, dass die Amerikaner uns die Freiheit und die Demokratie gebracht haben – das fehlte noch, Sie wissen ja, ich bin ihnen dankbar dafür –, aber dass wir nicht einmal Bars gehabt hätten und dass sie uns Bars und Wirtshäuser gebracht hätten, das ist wirklich Quatsch. Wir hätten sie mit Bars überziehen können, wenn sie es gewollt hätten, im ganzen Agro Pontino war es voll mit Wirtshäusern, alle mit Bocciabahn davor – an jeder Straße und jeder Straßenkreuzung –, und unsere Alten waren ständig betrunken. Da war der alte Pellicelli, wenn er besoffen war, konnte er nicht mehr aufs Fahrrad steigen. Im Wirtshaus wusste man schon Bescheid, und wenn Zeit war zum Schließen oder wenn er genug hatte vom Wein oder vom Briscola-Spiel und sagte: »Basta, schickt mich nach Haus«, gingen sie zu zweit hin und setzten ihn aufs Fahrrad – einer hielt das Rad, der andere den alten Pellicelli –, sie stießen ihn an, und er strampelte bis nach Hause. Dort, auf der Zugangsbrücke, fiel er hin, und seine Angehörigen holten ihn herein. Aber wenn er aus irgendeinem Grund anhalten musste, war er nicht mehr imstande, wieder loszufahren, stundenlang

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