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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Halbpächter, und man musste machen, was die ONC sagte. Und das war ein Kasernenhof mit militärischem Drill, auch die Ernteerträge musste man bei ihnen abliefern – unter ihrer Aufsicht –, und dann wurde die Aufteilung vorgenommen. Das hätten Sie sehen sollen – wenn gedroschen wurde –, all die Aufseher und Assistenten von der ONC , wie sie jeden Sack Getreide verzeichneten, der aus der Dreschmaschine kam. Und alles ging an sie, gleich auf ihre Karren und Lastwagen verladen und zur Ablieferung geschafft. Uns ließ man nur die zuvor für jede Familie festgesetzte Menge – nach Anzahl der Mitglieder berechnet, so und so viel für die Männer, für die Frauen etwas weniger, noch weniger für die Kinder –, um uns das ganze Jahr über zu ernähren. Und das war nicht sonderlich viel, das können Sie mir glauben, gerade so die Ration zum Überleben, denn diese Diät machte das ganze Land mit, und das wenige, was übrig blieb, musste dazu beitragen, den Fortschritt zu finanzieren, die Entwicklung und die faschistische Erneuerung des Landes und des Imperiums. Was für ein Imperium war denn das sonst? Wie sollte man sonst die Trockenlegungen durchführen, die in Apulien, Kampanien, in Sizilien und Kalabrien noch zu machen waren?
    Aber – wenn Sie erlauben – es ist auch kein schönes Schauspiel, mit ansehen zu müssen, wie einem der Weizen Sack für Sack vor den Augen abtransportiert wird, nachdem man ihn ein Jahr lang auf den Feldern gezogen hat und mit den eigenen Händen Garbe um Garbe in die Dreschmaschine gesteckt und dann Sack für Sack abgefüllt hat. Sie nahmen ihn mit auf ihren Karren und Lastwagen, und es blieb einem nur das strikte Existenzminimum. Deshalb stahlen wir bei jeder Ernte unseren eigenen Weizen.
    Unter einem Vorwand oder mit einem Trick – eine der Frauen bot etwas zu trinken an, eine andere machte schöne Augen – lenkte man die Aufseher der ONC ab und ließ den einen oder anderen Sack verschwinden. Wer am Trichter stand, band ihn oben zu und warf ihn blitzschnell auf eine Schubkarre, die da bereitstand, gleich daneben ein Bruder, der ihn mit Stroh zudeckte, und ab damit, von einer Hand in die andere, versteckte man ihn im Heuschober oder unter dem pagliaio , der gerade aufgerichtet wurde. Wenn sie einen erwischten, wurde man davongejagt. Da gab es kein Pardon und keine Nachsicht. Diebstahl. Und einige haben sie tatsächlich erwischt. Auf sämtlichen Höfen des Agro Pontino wurde beim Dreschen Getreide gestohlen. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Nicht nur bei den Peruzzi. Das war unsers. Wir stahlen das Unsere. Und wenn sie jemanden – eine Familie – erwischten, wenn sie es bemerkten, dann half da gar nichts mehr, weder Tränen noch Geschrei oder Klagen; sie wurden alle miteinander am nächsten Tag zusammengepackt, in den Zug gesetzt und nach Oberitalien zurückgeschickt: »Jetzt könnt ihr verhungern.«
    Aber das war unsers, und Tante Santapace erzählte immer – bis zur ihrem Todestag – von jenem Mal, als die Dreschmaschine zwei Wochen vor dem Tag ihrer Hochzeit kam. Der Pfarrer hatte am 17. August einen Termin frei – »Wenn ihr wollt, geht das so«, hatte er zu ihr gesagt –, und die Dreschmaschine kam am 2., und sie war so glücklich, dass sie heiraten würde, aber auch traurig und besorgt, weil sie bettelarm waren. Aber irgendwann – sie ging im Staub, unter Traktorenlärm und dem Schlagen der Riemen dahin – sah sie Onkel Pericle, der einen Sack oben zuband und ihn zehn Meter weit durch die Luft seinem Bruder Iseo zuwarf, der ihn sofort versteckte, einen Doppelzentnersack Weizen. Das Schwert der Peruzzi. Der Löwe unseres Stamms. Ein Doppelzentner Weizen mit einer Hand zehn Meter weit geworfen. Und sobald er sah, dass der Bruder Iseo – schnell und wendig wie er selbst, Iseo, die Gazelle unseres Stamms – sofort reagierte und der Sack schon im Obergeschoss des privy war, lächelte Onkel Pericle Tante Santapace zu: »Der ist für dich, Braut.« Sie war etwas verdutzt. Sie begriff nicht gleich, es war alles zu schnell gegangen: Blitzschnell die zwei, Kastor und Pollux. »Glaubst du, ich hätte deine Hochzeit vergessen?«, sagte Onkel Pericle noch einmal lächelnd.
    »Bruder«, sagte Tante Santapace bloß. Und fing an zu weinen. Und sie weinte jedes Mal, wenn sie das erzählte.
    Wir waren eine Enklave, ich sagte es Ihnen, und wir schlossen uns zu Kohorten zusammen. Neue Heimat, neues Leben. Arbeit, filò , Tanz, Boccia, Briscola, Wirtshaus, Fascio, Miliz und

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