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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Religion. Vor allem Religion, mehr noch als der Fascio. Wegen Großmutter. Ora pro nobis hier, ora pro nobis da. Im Haus gebrauchte niemand mehr Schimpfwörter. Nicht nur wir. Alle Familien. Die Erinnerung an peinliche oder unangenehme Dinge war aus allen Reden, aus allen Familienerzählungen getilgt, war im Nichts verschwunden. Das war alles oben geblieben, in Norditalien, und hier gehörten plötzlich alle wie durch Zauberschlag zur Familie der Maria Goretti. Diese Pilgerreise hatte uns wirklich geläutert, wie wenn man nach Santiago di Compostela zieht. All unsere Sünden hatte der kleine Benito Mambrin beim Ponte Marchi auf sich genommen. Und so gab es mittlerweile unter den Veneto-Cispadaniern im Agro Pontino niemanden mehr, der auch nur im Traum einen Verwandten im Gefängnis oder ein uneheliches Kind in der Familie gehabt hätte: »Alles jungfräuliche Kühe, vom Provinzveterinäramt beglaubigt.«
    Sonntagmorgens ins Dorf zur Messe zu gehen – die Mädchen frisch duftend und den weißen Spitzenschleiern auf dem Kopf, die Frauen dagegen mit farbigen Tüchern oder im schwarzen Schleier – war jedenfalls das Schönste geworden, was es gab, die ganze Woche über wartete man auf den Sonntag. Schlimm war allerdings, dass sonntagmorgens am Altar – vor allem aber auf der Kanzel – nur marokkanische Priester standen und in einer Sprache predigten, die niemand von uns verstand. Sie waren alle von hier. Kein Einziger von uns daheim. Venetische Herde mit marokkanischem Hirten. Wenn man zur Beichte oder etwas fragen ging, verstanden sie einen überhaupt nicht. Am Anfang gab es nicht einmal für jeden Borgo einen festen Priester, sie kamen sonntagmorgens – notgedrungen mussten die hiesigen Bischöfe wen schicken –, lasen die Messe und gingen wieder. Auf Wiedersehen und danke schön.
    Im Lauf des Jahres 1933 wurde endlich das große Gotteshaus von Littoria fertiggestellt und den Salesianern des Don Bosco anvertraut, die Kirche wurde San Marco geweiht, der als Schutzpatron von Venedig auch zum Schutzpatron des Agro Pontino wurde, weil die Siedler eben aus den drei venezianischen Provinzen kamen. Aber nur bis 1950, denn nachdem Maria Goretti heiliggesprochen war – sie stammte hier aus der Gegend und hatte ihr Martyrium in Borgo Montello erlitten –, wurde sie ihm zur Seite gestellt, ein Cispadanier und eine Marokkanerin, wie das bei uns Sitte ist: cispadanischer Mann und marokkanische Frau.
    Der erste Pfarrer von San Marco war Don Torello – ein Piemontese –, aber alle Mitbrüder, die er jeden Sonntag mit dem Fahrrad in die Dörfer schickte, stammten aus Rom oder eben auch hier aus der Gegend. Es stimmt, dass sie etwas öfter in die borghi kamen, aber abends kehrten sie nach San Marco zurück. Nach Littoria. Das war ihr Zuhause, und dorthin kehrten sie zurück. Gemeindepfarrer nur zum Schein, außerdem Marokkaner, die wie alle anderen auch Mühe hatten, einen zu verstehen.
    Denken Sie nur an die Beichte, aber nicht bloß an das Problem der Sprache und an die Mühe, die es kostete, ihm die Sünden wirklich begreiflich zu machen, denken Sie wirklich an die Sache an sich, wie Großmutter mittlerweile tagtäglich zu Armida sagte: »Aber wie lang soll das noch so gehen, dass wir unsern Kram einem Marokkaner erzählen müssen?«
    Da fing Armida an, ihren Mann zu bearbeiten. »Deine Mutter will einen Priester von uns daheim.«
    »Mir erzählst du das? Was kann denn ich da machen?«
    »Du kannst was machen.«
    »Und wer bin ich denn, vielleicht der Patriarch von Venedig? Geht doch zum Teufel, alle beide!«
    Aber sag’s einmal und sag’s noch einmal – »Hol uns einen Priester, Pericle, hol uns einen Priester aus unsrer Gegend« –, mein Onkel konnte es nicht mehr hören und fragte sie auf den Kopf zu: »Aber was wollt Ihr denn von mir, werte Mama? Und ausgerechnet von mir? Wo soll denn ich einen Priester herschaffen, vielleicht aus Comacchio?«
    Aber dann fingen die Bienen auch noch an – wwuuuhh wwuuuhh, wwuuuhh – immer um ihn herum, dazu Großmutter und Armida, die quengelten: »Den Priester, den Priester« – so dass er schließlich sagte: »Leckt mich doch alle.« Machte sich auf und ging zum Fascio in Littoria: »Wir wollen venetische Priester.«
    »Zu uns kommst du, Peruzzi, wegen Priestern?«, und sie frotzelten ihn: »Ausgerechnet du, der du Fachmann bist auf dem Gebiet?«
    »Leckt mich doch alle«, und er ging zu Don Torello in San Marco. Aber auch der sagte zu ihm: »Was kann ich da machen? Die

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