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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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hatte –, aß er zunächst die Bouillon, die die Großmutter vor ihn hingestellt hatte, dann sagte er: »Probieren wir auch diese Tagliatelle in brodo«, und er aß noch einen Teller Suppe mit Tagliatelle darin, danach verzehrte er das ganze Huhn mit Polenta, die noch vom Tag zuvor übrig war, einen halben Laib Brot mit Salami oder Cotechino, die Großvater von ihren Haken an der Decke heruntergeholt und aufgeschnitten hatte, noch einen Teller Tagliatelle mit Sugo, der schon für den nächsten Tag vorbereitet war, und zum Schluss, wenn wirklich nichts mehr da war, trank er noch ein letztes Gläschen Clintón-Wein und tunkte etwas Brot hinein.
    Das Merkwürdige ist aber, dass dieser Don Brodino starb, gleich nachdem der Weltkrieg vorbei war, als bei uns keine Brücken mehr standen – alle durch die Bombardierungen eingestürzt oder durch Minen oder Dynamit in die Luft gesprengt, sei es von den Deutschen oder den Amerikanern – und man, um den Canale Mussolini zu überqueren, den Uferdamm hinuntersteigen musste bis zu einer der Schwellen und dort auf einem behelfsmäßig über die Steine gelegten Steg hinüberbalancieren. In einer Winternacht kurz vor Weihnachten hatte dieser Don Brodino ein paar Familien besucht – die sich in einem etwas weniger beschädigten Gehöft versammelt hatten –, und auf dem Heimweg spät in der Nacht musste er, um auf die Seite zurückzukommen, wo sich seine Kirche und das Pfarrhaus befanden, den Canale Mussolini überqueren, rutschte auf dem Steg über das Tosbecken aus oder stolperte und verlor das Gleichgewicht. Er fiel in den Kanal. Das Wasser war nicht allzu hoch, und er konnte schwimmen. Doch es war Nacht, es war Winter und es war kalt. Er kam wieder heraus – niemand war bei ihm –, er kletterte den Uferdamm hinauf und kehrte ganz langsam und völlig durchnässt nach Hause zurück.
    Er wird eine Stunde gebraucht haben, mehr nicht. Aber es war Dezember. Er legte sich ins Bett, und im Lauf einer Woche ist er an einer Lungenentzündung gestorben. Einige sagen – aber das sind böse Zungen – er sei auch etwas betrunken gewesen, als er von diesem Hof kam. Ein Brodino hier, ein Brodino da, ein Gläschen Wein zwischen einem Löffel Suppe und dem nächsten, vielleicht sah er nicht mehr so gut, als er über den Steg ging. Aber das sind böse Zungen, ich wiederhole es, ich glaube das nicht.
    Das Seltsame ist aber, dass es nach seinem Tod im Agro Pontino immer irgendeinen Don Brodino gegeben hat, mal im einen Dorf, mal ein einem anderen. Ich bin jetzt nicht sicher, aber gewisse Verwandte von mir, die in Oberitalien geblieben sind, sagen, dass man auch dort – in Oberitalien – an einigen Orten einen Pfarrer antrifft, der ebenfalls Don Brodino genannt wird. Fragt sich nur, warum.
    Jedenfalls, als Onkel Adelchi aus Afrika zurückkam, die Brust mit Orden dekoriert – in Ostafrika verwehrte man keinem eine Tapferkeitsmedaille, das Neue Italien brauchte Helden, und auf etwas mehr als sechstausend Gefallene kamen fast siebentausend Medaillen, mehr Orden als Gefallene also –, als Onkel Adelchi aus Afrika zurückkam, waren Onkel Pericle und Onkel Iseo schon vom Hof gegangen.
    Davon war natürlich schon die Rede gewesen, noch bevor Onkel Adelchi mit Barany und der Kompanie Littoria aufbrach. Nicht dass bei den Peruzzi jemand eines schönen Morgens aufwacht und sagt: »Jetzt geh ich fort.« Man beredet das, denkt darüber nach und denkt noch mal nach, und erst am Schluss wird entschieden. Und bei Onkel Pericle war es schon eine Weile so – man kann sagen, praktisch seitdem er hier angekommen war, seitdem man ihm zum ersten Mal gesagt hatte »Tu dies und tu das! Und tu jenes nicht« –, dass er es nicht ertragen konnte mit diesen Verwaltern von der ONC : »Eines Tages begehe ich noch eine Dummheit.« Außerdem waren wir viele, zu viele für diesen Hof. Wohl hatte man uns mehr Land gegeben als anderen, das stimmt: Weil wir so viele waren, hatte man uns fünfzehn Hektar Grund gegeben, und nicht zehn, wie sonst üblich, und alles sehr fruchtbarer Boden. Aber wir waren eben viele, und vor allem – dachte Onkel Pericle –, wenn nach und nach die jüngeren Brüder heranwuchsen, aber auch die eigenen Kinder größer wurden, wo sollten wir da alle unterkommen? »Wovon sollen wir uns ernähren«, sagte Onkel Pericle zu Onkel Iseo, »sollen wir den Kanaldamm essen?«
    Allein die Brüder, das waren Onkel Pericle und Onkel Iseo mit Frauen und Kindern, Onkel Adelchi, noch Junggeselle, Onkel Turati,

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