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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Sermoneta, jedes Mal, wenn die uns mit unseren Karren oder Arbeitsvieh vorbeikommen sahen, hörte man sie sagen: »Diese Cispadanier da.«
    »Marokkaner, Mokassiner«, sagten wir. Und einmal, als Armida auf einem Wägelchen ihren Honig zum Markt von Monticchio brachte, begann eine Gruppe hiesiger Frauen – Marokkanerinnen-Sezzesen-Sermontanerinnen, die Oliven, Artischocken, in Öl eingelegte Artischockenherzen und Kaktusfeigen verkauften –, sie anzurempeln und ihren Stand immer weiter zur Seite zu schieben. »Was will denn die Cispadanierin hier?«, sagten sie unter sich, »genügt es ihr nicht, dass sie uns den Boden weggenommen hat, will sie jetzt auch noch unseren Platz am Markt?«
    Armida war aber nicht auf den Mund gefallen. Auch wenn sie in der Minderheit war, sie fürchtete sich nicht und war nie um eine Antwort verlegen. So gab ein Wort das andere – denn, Sie verstehen schon, außer dem Honig war da als eigentlicher casus belli vor allem Armidas strahlende Schönheit –, und so sagte schließlich eine von denen zu ihr: »Aber geh doch, diese cispadanische Hure, die ihre Schenkel zeigt.« In der Tat trug sie ein etwas kürzeres Kleid als die anderen, das den halben Knöchel frei gelassen haben dürfte.
    Armida kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn in diesem Augenblick gingen drüben meine anderen Tanten vorbei – die Peruzzi, alle gemeinsam –, die beiden Zwillinge Modigliana und Bissolata vorneweg. Und sofort fuhr Tante Bissolata auf wie eine Furie. »Zu weeem sagst du das?«, kreischte sie wie verrückt und zog die Marokkanerin an den Haaren. »Zu weeem sagst du Hure, zu meiner Schwägerin? Zu meiner Schwääägeeerin!«, schrie sie, riss sie an den Haaren und warf sie zu Boden.
    Und gleich mischten sich die anderen Schwestern auch in den Kampf: »Zu meiner Schwääägeeerin!« – so dass Armida sich sagte: »Wer hätte das gedacht, dass sie mich so gernhaben?« –, bis die Männer kamen und die Sache unter sich beilegten. Dann auf dem Heimweg drängten sich alle um sie und hätschelten sie: »Meine Schwägerin hier, meine Schwägerin da!« Beschimpfen durften die Schwägerin nur sie.
    Sobald Onkel Adelchi aus Afrika zurückkam, eilte er als erstes – noch bevor er nach Hause ging, um die Mutter zu umarmen –, mit den Orden an der Brust ins Rathaus und stellte beim Bürgermeister seinen Antrag. Dann schnurstracks auf die neuen Höfe bei den Grafen Cerisano-Caratelli, um zu sehen, wie die Brüder sich eingerichtet hatten. Er sah sich hier um, sah sich da um, ging über die Felder, inspizierte den Stall, stieß vor den Holländer Kühen ein: »Oho!« aus und sagte dann: »Ah, da bin ich aber froh! Ihr habt es wirklich gut getroffen … Pericle, hör zu, ich hab gerade meine Bewerbung als vigile eingereicht. Leg doch ein gutes Wort für mich ein.«
    »Ah, das ist der Grund, weswegen du gekommen bist, du Mistkerl«, bemerkte Onkel Pericle lachend. Aber das Wort legte er für ihn ein. Schließlich war Adelchi hoch dekoriert, den Volksschulabschluss hatte er, er war Träger der Liktorenschärpe und Teilnehmer am »Marsch auf Rom«, die Uniform stand ihm ausgezeichnet, er sah darin aus wie ein Adonis: »Wen wollt ihr denn sonst als Polizisten«, sagte mein Onkel beim Fascio, »den Fürsten von Piemont?« So wurde Onkel Adelchi vigile . Er war einer der ersten in Littoria. Sie waren insgesamt fünf oder sechs. Immer mit Pistole im Koppel, Kolonialhelm, tadellos weiße Uniform im Sommer, schwarze im Winter. Er war eine Autorität, ein Sheriff. Anfangs war er mit dem Fahrrad unterwegs, dann bekam er ein Motorrad – das erste Motorrad bei den vigili in Latina-Littoria, eine Gilera 125 –, denn in Afrika war er auch Motorradfahrer geworden und war entlassen worden mit dem Dienstgrad eines Unteroffiziers oder Scharführers, das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Jedenfalls war er auf allen Straßen unterwegs, und damals war ein vigile in Littoria wirklich eine Autorität.
    Abends nach dem Dienst kam er mit dem Fahrrad nach Hause zum Podere 517 am Canale Mussolini, und morgens fuhr er wieder nach Littoria hinein. Dort stieg er auf das städtische Fahr- oder Motorrad um, aber nur im Dienst, denn Onkel Adelchi nahm es bei sich selbst ganz genau, niemals hätte er etwas ausgenutzt.
    Zu Hause auf dem Hof war er nun der erste Mann, aber es ist klar, dass wir ihn nie mehr mit der Mistgabel zu Gesicht bekamen, weder im Stall noch auf dem Feld. Ich erinnere mich nur an ein Mal – da war ich noch klein –

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