Canale Mussolini
sah, sie aber nirgends.
»Später«, entgegnete ihm Onkel Adelchi mit finsterer Miene, wie um zu sagen: »Das ist nichts, was man in der Öffentlichkeit besprechen kann.«
»Armer Pericle«, sagte Onkel Iseo da.
Sie hatten Armida schon verjagt. Sie hatten ihr sämtliche Kinder weggenommen – die größeren wenigstens –, die waren noch hier bei uns, auf dem Podere der Peruzzi. Sie dagegen wohnte in einem Häuschen in Doganella. Verbannt. Weit weg. Nur die beiden Kleinsten hatten sie ihr gelassen. Ja, erst wollten sie ihr nur eins lassen. Auch Menego wollten sie ihr wegnehmen. Er sollte bei den Peruzzi bleiben. Es war Tante Santapace – die mit Benassi verheiratet war –, die erreichte, dass sie ihn behalten durfte, indem sie ihre Mutter, meine Großmutter, anflehte: »Aber Mama, man kann ihr doch ein so kleines Kind nicht wegnehmen, habt Erbarmen, Mama, habt Erbarmen.«
»Nehmt ihn ihr weg, nehmt ihn ihr weg«, kreischte hingegen Tante Bissolata wie eine Furie.
Und ein oder zwei Jahre später – als sie ein bisschen größer waren, als vor allem aber die Dinge langsam wieder in Ordnung kamen, als alle, die heimkehren mussten, heimkehrten und endlich wirklich die Nachkriegszeit begann – wurden ihre Kinder alle verteilt. Die einen hierhin, die anderen dorthin, aber alle unter dem wachsamen Auge der Peruzzi: Adria kam zu Onkel Adelchi, der in der Stadt eine Mietwohnung genommen hatte – »Ah, habe ich es doch gleich gesagt, als ich Littoria zum ersten Mal sah, da war es noch im Bau: Das ist der richtige Ort für mich!« – und endlich auch geheiratet hatte; Onesto zu den Dolfin in Borgo Hermada, wo er als Laufbursche arbeitete; Florinda und Pisana zuerst in die Klosterschule und dann auf unseren Hof, zu den Peruzzi; Tarcisio auch ins Internat, aber er brannte immer wieder durch, und jedes Mal musste Onkel Adelchi ihn bei der Mutter in Doganella abholen und brachte ihn dann zurück ins Internat oder hier zu uns. Nur einmal brachte er ihn zu Tante Bissolata, aber die wollte ihn nicht mehr haben, denn wenn sie ihn schlug, wehrte er sich und versetzte ihr Tritte gegen’s Schienbein: »Ich will zu meiner Mama, ich will zu meiner Mama! Bringt mich zurück zu meiner Mama, blöde Weiber.«
Alle haben sie ihr weggenommen. Und sie nach Doganella verbannt. Und sie durfte sie nicht einmal besuchen. Man brachte sie ihr, ab und zu. Nur Adria durfte sie einmal in der Woche besuchen, denn dort war Onkel Adelchi, der kontrollierte und alle überwachte.
Aber das sind alles Geschichten von 1945 – November 1945, als Onkel Iseo endlich aus Kenia zurückkam – und aus den folgenden Jahren. Wir aber waren – wenn mich nicht alles täuscht – beim Heiligabend 1941 stehengeblieben, als die erste Postkarte von Onkel Iseo aus Kenia eintraf, wo er uns um Nachricht von Onkel Pericle bat, als ganz Ostafrika und das Imperium bereits den Bach runtergegangen waren und Zelinda mit Armida von diesen verfluchten Höfen bei der Marchi-Brücke zurückgekehrt waren, zu den Peruzzi.
Den beiden Frauen war es gelungen, an einen Nachfolgepächter zu verkaufen, den ausgerechnet Pascale für sie aufgetrieben hatte. Um die Schulden zu begleichen, mussten sie jedoch alles verkaufen, auch die Jungkühe und das wenige andere Vieh, das ihnen geblieben war. Mit nichts kehrten sie zu den Peruzzi zurück. Gerade mal die Bienen. Um sie abzuholen – und zusammen mit den Kindern die paar Bettgestelle, Matratzen, zwei Stühle, Wäsche und eine Schubkarre, die ihnen geblieben war, aufzuladen –, mussten Onkel Adrasto und die Söhne von Onkel Temistocle mit ihrem Karren und ihren Maultieren hingehen. Nicht einmal die hatten sie mehr, und trotzdem konnten sie die Schulden noch nicht ganz begleichen. Jedenfalls kamen sie zurück und wollten so, wie sie auf den Höfen bei der Marchi-Brücke zusammengelebt hatten – als vertraute Schwägerinnen, enger als Schwestern –, auch hier auf dem Podere 517 zusammenbleiben, von wo sie ausgezogen waren.
Doch als sie ankamen – nur einen Augenblick, bevor man mit dem Abladen beginnen wollte –, bemerkte jemand: »Vielleicht ist es besser, eine bleibt hier und die andere geht zu Onkel Temistocle, so haben wir alle mehr Platz.«
Die beiden zogen ein Gesicht, sie wollten zusammenbleiben: »Also eigentlich … wir hätten gedacht …«, versuchte Tante Zelinda, Onkel Iseos Frau, einzuwenden.
»Aber nein, so habt ihr mehr Platz, das ist besser für euch, wir sagen das ja nur zu eurem Besten«, meinte Onkel Adelchi
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