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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Dann Schluss, dann erinnerte er sich an nichts mehr.
    Aufgewacht war er – aber man weiß nicht, wie viele Tage später – im Krankenhaus. Und auch hier nur verschwommene Erinnerungen. Erst kam es ihm so vor, als wäre das Krankenhaus italienisch, ein Feldlazarett mit italienischen Ärzten. Aber dann wechselten in seiner Erinnerung die Ärzte und wurden Engländer, und auch das Krankenhaus änderte sich – es war jetzt aus Mauerwerk –, doch er konnte nicht sagen, wie und wann die Veränderungen stattgefunden hatten. Allmählich ging es ihm besser, und er wurde in ein Gefangenenlager gebracht. Aber bereits im Krankenhaus hatte er angefangen – kaum dass er sich bewegen, sprechen und verstehen konnte –, jeden, den er kannte, zu fragen, ob er zufällig seinen Bruder Pericle Peruzzi gesehen hatte; und mehr noch im Gefangenenlager, wo er viele aus seiner Abteilung wiedertraf.
    Die einen sagten, sie hätten ihn vor dem Angriff gesehen und nachher nicht mehr. Einer sagte, er hätte ihn währenddessen gesehen, aber völlig nackt und schwarz verschmiert von Öl, Diesel und Rauch. Er war sich nicht hundertprozentig sicher, dass er es war, glaubte aber ja. Es hatte eine Explosion gegeben – sagte er –, aber er war merkwürdigerweise aufrecht stehen geblieben, völlig nackt, nur mit den Stiefeln an den Füßen und dem Kolonialhelm auf dem Kopf. Und es schien wirklich er. Benommen tat er ein paar Schritte, auch das Gesicht ganz schwarz und ölverschmiert, aber die Augen verdreht, so dass das Weiße hervorkam, und ein schiefes Lachen auf den Lippen, nach einem Weilchen fing er an, ganz ruhig voranzugehen, mit langsamen, aber entschlossenen Schritten, ganz in sich versunken mitten in der Schlacht, als ob er auf den Straßen von Littoria dahingehen würde, ab und zu blieb er stehen und machte zu den kämpfenden Soldaten, auf die er stieß – sowohl Unsrige als auch Engländer –, eine Handbewegung, als wollte er fragen: »Hast du zufällig eine Zigarette?« Was dann aus ihm geworden ist, wusste auch dieser nicht; ja, er war der Einzige, der die Sache so erzählte, und es war nicht einmal wirklich sicher, ob es sich tatsächlich um Pericle handelte – »Es schien mir so« –, während die überwiegende Mehrheit sich an ihn kämpfend in der Schlacht erinnerte und dann nicht mehr.
    Ein paar hatten gesehen, wie er auf einen leichten englischen Panzer sprang, die Einstiegsluke öffnete, eine Handgranate hineinwarf, die Luke wieder schloss und absprang. Und während die Granate im Panzer explodierte und ihn lahmlegte, war er schon auf dem nächsten Panzer, der dahinter kam. Und so weiter. Mit Handgranaten gegen Panzer. Meine Onkel waren bei den Arditi. Aber nach der Schlacht hatte ihn niemand mehr gesehen. Rein gar niemand.
    Oder doch, einer aus Borgo Montenero, ein Freund von ihnen, der gemeinsam mit ihnen von Italien, genauer, von Littoria aus aufgebrochen war und der dann während der Gefangenschaft in Kenia an Ruhr gestorben war, hatte ihm erzählt, er sei tatsächlich mit Pericle zusammen gewesen, und sie hätten sich fast bis zuletzt mit Handgranaten und Munition ausgeholfen, besser gesagt, er hatte Onkel Pericle Handgranaten gegeben, weil er die seinen aufgebraucht hatte, und dann habe er ihn deutlich oben auf einem kleinen Hügel vor sich gesehen – in etwa dreißig Meter Entfernung, in der Nähe einer allein stehenden Akazie mit breiten kahlen Ästen, die aussahen wie ausgebreitete Arme –, als er voll von einer Haubitze getroffen wurde. Eine 152/13 – sagte der aus Borgo Montenero –, eine Howitzer. Als er die Kugel durch die Luft schwirren hörte, hatte er sich sofort zu Boden geworfen. Nach dem Einschlag dann – sobald er wieder aufschaute, der Rauch sich verzog und mit Staub vermischt langsam zum Himmel aufstieg – war oben auf dem kleinen Hügel nichts mehr, nur noch ein Loch, aber weder von Onkel Pericle noch von der Akazie mit den ausgebreiteten Armen irgendeine Spur mehr. Verflogen mitsamt dem Rauch, der sie in diesem Getöse umgeben hatte wie ein großer schwarzer Mantel und der sich jetzt verzog und zum Himmel aufstieg.
    Was soll ich Ihnen sagen? Nichts, nur dass Großmutter – aber Armida, wenn’s darum geht auch – bis zu ihrem letzten Tag darum gebetet hat, dass Onkel Pericle wiederkommt.
    »Vermisst«, hieß es staatlicherseits. Und so steht es im Einwohnermelderegister und auf den Pensionsberechtigungsscheinen.
    »Und Armida?«, fragte Onkel Iseo da noch einmal, weil er ihre Kinder um sich

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