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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Sie wurden gut behandelt, wie gesagt, sie wurden nicht geschlagen, aber Essen nix: »Wir haben selbst auch so wenig«, sagten die Engländer.
    »Und wie kommt es, dass du trotzdem so gut beieinander bist?«, fragte Onkel Temistocle.
    »Mäuse. Ich habe so viele Mäuse gegessen, Bruder, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich jemals wieder ein gewöhnliches Huhn essen kann.« Obwohl er dann am selben Abend allein noch ein ganzes Huhn verspeiste. »Aaaa, das ist besser als eine Maus.« (Entschuldigung, was sagen Sie? Wonach Maus schmeckt? Eine Mischung aus Kaninchen, Schwein und Rebhuhn. Ein bisschen ausgeprägter nach Kaninchen und Rebhuhn.)
    Er und ein Freund von ihm hatten sich Fallen gebaut und Schlingen aus Schnur. Stundenlang lagen sie auf der Lauer – sie waren Gefangene, nicht, dass sie wer weiß was zu tun gehabt hätten –, und sobald die Maus anbiss, los! Ein Ruck an der Schnur, Kopf ab mit dem Messer, das sie sich durch sorgfältiges Feilen aus dem Griff des Suppenlöffels gemacht hatten, häuten, die Eingeweide herausnehmen, auf einen Stock stecken und übers Feuer halten, fertig ist der Braten. So kam Onkel Iseo nach vier Jahren Gefangenschaft in Kenia doch gut ernährt zurück. »Aber Armida?«, fragte er an dieser Stelle.
    »Lass sein«, sagte Onkel Adrasto noch einmal. »Und Pericle?«, sprach Onkel Temistocle endlich den gefürchteten Namen aus, und das Schweigen, das sich erneut über das ganze Podere Nr. 517 herabsenkte, war auch das der ganzen Parallela Sinistra. Stumm auch er, hinter seinem Damm, der Kanal.
    Da breitete Onkel Iseo die Arme aus, und erst nach einer Ewigkeit sagte er: »Von dem armen Pericle« – kaum hörte sie dieses »der arme«, wurde Großmutter wieder ganz bleich, und die Atemnot kehrte wieder – »von dem armen Pericle weiß ich nichts … ich habe ihn nicht mehr gesehen … Verschwunden … Vermisst«, während Großmutter, fast erleichtert, sich auf ihrem Stuhl wieder fasste.
    Unterdessen war auch Onkel Adelchi gekommen, auf dem schwarzen Gilera-Dienstmotorrad. Die Nachricht war wie ein Lauffeuer von Hof zu Hof geeilt – »Der Iseo von den Peruzzi ist wieder da, der Iseo von den Peruzzi ist wieder da« – und hatte auch Littoria erreicht. Wie ein Verrückter war er losgebraust, allen vom Krieg verursachten Schlaglöchern auf den Straßen ausweichend, dass Giacomo Agostini es auch nicht besser gekonnt hätte. Er weinte. »Mein Iseo, mein Iseo«, und er umarmte ihn ganz fest.
    Onkel Iseo erzählte weiter, aber er erinnerte sich nur an wenig von der ganzen Schlacht. Lediglich, dass er sich irgendwann, während sie unter Qualm und Explosionen zum Angriff übergingen – Onkel Pericle und Onkel Iseo rückten abschnittsweise vor, ab und zu preschten sie geduckt vorwärts, einer neben dem anderen, inmitten der Leute und ihren Kameraden, die fielen und schrien, während der Scharführer brüllte: »Vorwärts! Vorwärts!« –, dass er also sich irgendwann auf den Knien und dann am Boden wiederfand, aber ohne zu begreifen, warum, und er bekam keine Luft, der Atem war wie abgeschnitten. Dann legte er eine Hand auf die Seite, und fast fand er sie nicht mehr, die Seite. Da zog er die Hand zurück und sah sie an. Sie war rot. Noch einmal fasste er nach der Seite, aber er fühlte nur Schmerz. Da schrie er: »Pericle, Pericle, Periclín!«, wie als Kind, wenn er den größeren Bruder zu Hilfe rief.
    Onkel Pericle sah und hörte ihn sofort, und sofort warf er sich neben ihn auf den Boden: »Sei ruhig, sei ruhig«, sagte er zu ihm.
    »Mich hat’s erwischt, mich hat’s erwischt«, sagte dagegen Onkel Iseo, und dann: »Ich sterbe, ich sterbe, denk du an meine Kinder, verflucht seien die Zorzi Vila«, und Onkel Pericle brachte ihn hinter einem umgekippten Kleinlaster in Deckung, verband ihm notdürftig die Wunde, während die Kameraden weiter vorrückten, und alles ringsum war ein Inferno aus Detonationen, Flammen, Rauch und Schreien. Onkel Iseo hatte Angst, er spürte, wie eine große Kälte ihn erfasste, und da bettelte er: »Lass mich nicht allein, Pericle, lass mich nicht allein, bleib bei mir.«
    Aber alle anderen rückten schießend weiter vor, und Onkel Pericle konnte nicht bleiben, er musste ihn dort in der Deckung zurücklassen. »Sei ruhig, Iseo, das ist nichts; bleib hier, ich mach den Angriff mit und komm zurück, ich hol dich ab. Wart auf mich, Bruder, wart auf mich, ich komme, verflucht bis ans Ende aller Tage die Zorzi Vila.«
    Und Onkel Iseo: »Ich warte, ich warte.«

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