Canale Mussolini
Ochsen blieben stehen, und er ließ sich zu Boden fallen, auf den Knien kauerte er, das Gesicht in die lockere Erde gedrückt, darin ein paar Weizenkörner – die Samen –, und weinte und weinte; Onkel Temistocle weinte auch, versuchte ihn aufzuheben, ihm das Gesicht abzuwischen, und er sagte zu ihm: »Nicht so, Iseo, nicht so.«
Unterdessen war auf der ganzen Straße großes Geschrei. Aus allen Höfen tönte es: »Iseo, Iseo! Iseo ist wieder da!« – bei den Sorgen, die man sich auch dort um die Toten, Verwundeten und Vermissten machte, um all die Leute, die da immer noch auf der Welt unterwegs waren –, und als er und Onkel Temistocle bei unserem Podere Nr. 517 ankamen, war die gesamte Parallela auf der Tenne versammelt, um ihn zu umarmen und mit ihm zu weinen.
Die Einzige, die nicht weinte, war Großmutter; als sie Onkel Adrasto von den Feldern her »Iseo!« rufen hörte, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe – »O Gott, ich sterbe!« – und setzte sich auf einen Stuhl, um Luft zu schöpfen. Dann erhob sie sich und herrschte Großvater, der schluchzte, an: »Peruzzi!« – »Aber geh doch zum Teufel, du«, sagte der, wischte sich jedoch sofort mit seinem großen Taschentuch die Tränen ab –, und trat auch hinaus vor die Tür mit der Springfeder an der mückenfreien Veranda.
Als sie auftauchte, machten ihr alle Platz, bildeten ein Spalier bis zur Zugangsbrücke, wo Onkel Iseo, seine Frau Zelinda und die Kinder noch standen, und alles schwieg.
Mein Onkel trocknete seine Tränen. Er straffte sich in den Schultern und richtete sich auf. Mit den Händen fuhr er sich durchs Haar, dann ging er auf sie zu. Auch sie machte zwei Schritte. Er beugte sich hinunter, um sie zu umarmen: »Mama!«
»Mein Junge!«, sagte sie. Und wieder ging es los mit Schreien und Weinen. »Iseo, Iseo!«, die ganze Straße war da, die Toson, die Zago, die Mambrin, die Pelliccelli und alle miteinander, und noch immer strömten Leute herbei; da sagte Onkel Temistocle: »Erzähl!«
»Und Armida?«, fragte jedoch Onkel Iseo, da er sie hier nirgendwo sah.
»Lass das jetzt, erzähl!«, sagte Onkel Adrasto, und Onkel Iseo begriff, wovon sie wollten, dass er erzählen sollte, aber er holte weit aus und begann, von der Gefangenschaft zu erzählen, zu dieser anderen Sache wollte er scheinbar nicht kommen. Es ging ihm gut – sagte er –, und das konnten alle sehen. Sicher, fett war er nicht, aber die Haut war braungebrannt und glänzte, die Muskeln waren kräftig und fest. Die Engländer in Kenia hatten ihn nicht schlecht behandelt. Keine Prügel. Nie geschlagen. Im Gegenteil, man hatte ihn sogar gesund gepflegt. Nicht wie in Indien – wie hingegen Onkel Cesio erzählte, als er im darauffolgenden Jahr auch heimkommen konnte und aussah wie eine Vogelscheuche, die einem Angst einjagte, nur noch Haut und Knochen und schwer gealtert, er schien mehr tot als lebendig –, wo die Engländer einen von morgens bis abends mit Prügel überzogen.
Ich will nun nicht behaupten, was ich Ihnen hier erzähle, sei die geoffenbarte Wahrheit Gottes. Es ist das, was mein Onkel Cesio erzählte, und ich für mein Teil kann Ihnen lediglich versichern, dass Onkel Cesio als junger Mann, als er Vermessungswesen studierte, keiner war, der Lügenmärchen erzählte; wenn er sagte, er sei geprügelt worden, können Sie sicher sein, dass er geprügelt worden ist. Wenn Sie allerdings einwenden, dass Onkel Cesio jünger war als Onkel Iseo, vom Temperament her also noch hitziger und insgesamt aufbrausend wie alle Peruzzi, und dass er es nicht vertrug, vor irgendwem den Rücken krumm zu machen, dass er sich in der Gefangenschaft womöglich nicht unterordnen konnte, den Engländern freche Antworten gab oder aufsässig war – und denen ging das auf den Keks, also schlugen sie zu –, nun, das weiß ich nicht, und dazu kann ich Ihnen nichts sagen. »Jeder hat seine guten Gründe«, sagte Onkel Adelchi immer, aber sicher war das ein Fascist criminal camp , wo Onkel Cesio in Indien war, genauso wie es ein Fascist criminal camp war, wo Onkel Iseo in Kenia war. Onkel Cesio in Indien wurde allerdings geschlagen, Onkel Iseo in Kenia nicht. Das sind die Tatsachen, und so erzähle ich sie Ihnen.
Das einzig Schlimme in diesem Lager in Kenia, sagte Onkel Iseo, war der Hunger. So arger Hunger, wie man sich das gar nicht vorstellen kann. Zu essen gab es nur sehr wenig. Ganz, ganz dünne Suppe und lappiges Weißbrot – eine Art Toast –, aber nur ganz wenig, alles ganz knapp bemessen.
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