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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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der Via della Sorgente her kommen, auf diesem Fahrrad, das mittlerweile ganz klapprig war, schmutzig, abgerissen und stinkig in Zivilklamotten, die ihm Schafhirten in den Abruzzen gegeben hatten.
    Onkel Temistocle fiel fast in Ohnmacht. Einen Moment lang stützte er sich mit der Hand an den Kalips neben ihm – den Eukalyptusbaum – und sagte zu ihm: »Aber Junge! Du bist ein Deserteur …«
    »Ich und Deserteur? Der König wird ein Deserteur sein! Soll ich mich vom neuen Feind gefangen nehmen lassen?«
    »Aber nein, mein Lieber!«, und Onkel Temistocle umarmte ihn.
    Wer ihn nicht umarmte – und in eine längere und schlimmere Ohnmacht verfiel als Onkel Temistocle –, das waren die Kinder, meine Vettern Peruzzi, die, sobald sie ihn sahen, alle erbleichten: »O nein, wieder Fisch!«
    »Aber könnte man nicht«, sagte Großvater hingegen, »einen Weg finden, Würste zu angeln?«
    Also von Neuem jeden Abend bei den Schwellen. »Gott!«, sagte Paride bei sich: »Das hier ist das Paradies.« Noch zwei oder drei Tage lang.
    Am 16. September dann – kurz nach neun Uhr abends –, als Paride und Armida eben beim Kanal angekommen waren und sich gerade den ersten Kuss gegeben hatten, brach vom Flughafen her die Hölle los. Das dauerte bis Mitternacht.
    Vierundachtzig Bomber Wellington in aufeinander folgenden Wellen – sie waren von der Royal Air Force, einer machte kehrt, der nächste kam nach, im Wechsel – warfen drei Stunden lang tonnenweise Bomben auf unseren Flughafen Littoria. Sie haben ja keine Vorstellung, was für eine Nacht das war. Vom Hof der Peruzzi aus war es überall ringsum taghell, und von den Fenstern im ersten Stock sah man den Glockenturm von Podgora, klar und deutlich wie an einem strahlenden Morgen. Das bengalische Feuer erleuchtete bis zu den Bergen hinter Littoria Scalo alles taghell.
    Vom Rollfeld – vom Flughafen – loderten Flammen und Feuerschein hoch hinauf bis an den Himmel, das waren nicht nur die Bomben, sondern vor allem Treibstoffdepots und Tanklaster, die explodierten und in Flammen aufgingen, wirklich so, wie das Höllenfeuer sein muss. Und Dröhnen, Krachen und Donnerschläge, dass uns schien, jeden Augenblick würde das Haus einstürzen. Sämtliche Fenster weit offen, die Scheiben klirrten, und einige gingen schon zu Bruch. Die Wände, Balken und Böden bebten. Später sind sie wiedergekommen und haben auch im Agro Pontino etwas bombardiert, auch vorher schon, aber nichts war wie der Flughafen. Tote unter der Zivilbevölkerung gab es nur sehr wenige – es war eine chirurgische Bombardierung, wie man das heute nennen würde –, nicht eine Bombe auf die nahe gelegenen Höfe; alle landeten auf dem Flugfeld, auf der Piste und den technischen Anlagen, den Hangars, den Baracken und der Kantine: alles ein einziges riesiges Loch und die Flugzeugwracks daneben.
    Wir wussten aber nicht, dass die Bombardierung chirurgisch war – hier flog einfach alles in die Luft –, also liefen alle aus dem Haus, und auf der ganzen Parallela Sinistra rannten die Leute mit den Kindern auf dem Arm und riefen sich zu: »Alle zur Madonnina-Brücke«, eine Brücke kurz hinter dem Podere 517, eine etwa zehn Meter lange und nicht mehr als zwei Meter breite Brücke unter der Parallela, aber fest in den Straßendamm eingefügt und mit soliden gemauerten Seitenwänden. Ein unterirdischer Gang. Aber auf diesen zwanzig Quadratmetern unter der Straße – unserem Luftschutzkeller – drängte sich die gesamte Anwohnerschaft der Parallela Sinistra zusammen, einer neben dem anderen. Nein, auf dem anderen. Etwa hundert Leute auf zwanzig Quadratmetern, und die alte Toson weinte leise: »Bringt mich zurück nach Zero Branco.«
    Tante Santapace und Benassi hingegen wohnten auf der anderen Seite des Flugplatzes, auf halbem Weg zwischen Littoria Scalo und Tor Tre Ponti. Vor sich hatten sie eine Funkstation – oder einen Radioleuchtturm, ich weiß nicht genau – für den Flugplatz und eine Flakstellung der deutschen Artillerie. Die italienischen Flieger waren am 8. September abgehauen, die Deutschen aber waren geblieben und übernahmen nun auch deren Arbeit. Es werden vier oder fünf gewesen sein, genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Für die Meinen war das freilich immer noch der germanische Verbündete, und es waren Jungs wie unsere, einige allerdings sogar freundlicher und gebildeter als unsere. Da war einer – er hieß Hans –, bei sich zu Hause war er Kunststudent, ein Künstler, und er machte Porträtskizzen

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