Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
hatten. Bringen Sie das jetzt mal in Ordnung, denn es sieht doch ganz so aus, als wäre es – wenn es in Italien Mafia und Camorra gibt, wenn die Politiker nach Strich und Faden betrügen, wenn die Leute in der zweiten Reihe parken und keiner Steuern zahlt –, als wäre das alles die Schuld dieses 8. Septembers, dieses gestorbenen Vaterlands: »Jeder für sich und Gott gegen alle.« Du haust ab, und ich nicht?
    Ohne auch nur die Andeutung von einem Plan, von Befehlen oder Weisungen wurden sechshunderttausend richtungs- und ziellose italienische Soldaten von den Deutschen entwaffnet, auf Züge verladen und in Konzentrationslager nach Deutschland geschafft. Alle anderen nix wie weg, raus aus der Uniform und in den Untergrund, bevor die Deutschen auch sie erwischten.
    Es gab ein paar übrig gebliebene Flieger auf der Parallela Sinistra, die versuchten, vom Flughafen nach Cisterna zu gelangen, zum Bahnhof, und dann wer weiß wohin. Sie warfen Fliegerjacken und Rangabzeichen weg. Sie baten die Siedler um Zivilkleidung. Sie baten auch uns. »Aber was soll denn das, ist das vielleicht Caporetto?«, sagte Onkel Temistocle empört und jagte sie davon. »Weg hier!«, mit dem Gewehr in der Hand verteidigte er die Frontlinie der Windschützer an unserem Hof. »Weg von meinen Kalips, Schande über die Deserteure.« In Caporetto – ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern – hatte er die ja standrechtlich erschossen.
    Mein Vetter Paride hingegen legte am Nachmittag jenes 8. Septembers in Dubrovnik an – während wir noch im Krieg waren, oder so glaubten jedenfalls er und seine Kameraden. Also tankten sie in aller Ruhe auf und bereiteten alles für die Patrouille durch die Bucht von Kotor am nächsten Tag vor, als plötzlich, um 19 Uhr 42, diese Platte im Radio zu laufen begann. Froh und glücklich warfen alle miteinander ihre Mützen in die Luft: »Der Krieg ist aus, der Krieg ist aus.«
    Es vergeht jedoch keine Stunde – mittlerweile war es dunkel geworden –, da kommen zwei LKW s voller Deutscher in den Hafen, bis an die Zähne bewaffnet. Sie springen ab und bauen auf der Mole zwei MG s und eine kleine Raupenkettenkanone auf. Unser Kommandant wusste nicht, was tun. Ruf hier an, ruf da an, aber wen er auch anrief, die wussten alle auch nicht mehr als er. Die Deutschen feuerten unterdessen zwei Schüsse in die Luft und ließen die Italiener in einer Reihe antreten. Mein Vetter Paride und seine Freunde sahen sich an – nix wie weg zu ihrem Motorboot, das etwas abseits lag. Ich weiß auch nicht, wie, aber irgendwie hatte er die Eingebung – bevor er sich an seine 6,5er setzte –, ein Dienstfahrrad der Hafenkommandantur, das dort herumstand, ins Boot zu werfen: »Das ist meins.« Den Motor anlassen und los. Die Deutschen am Ufer brüllten: »Halt! Halt!«, und dann Gewehrschüsse. Paride: ratatata , ein paar Schwenks, bevor die Colt blockierte. Da legten die MG s der Deutschen los: ratatatatataatataatata . Aber mittlerweile war es stockdunkel und sie schon ziemlich weit draußen: »Fang mich, wenn du kannst.«
    »Wohin fahren wir?«, fragte der Steuermann, als sie aus dem Hafen heraußen waren.
    »Nach Hause«, brüllten alle im Chor.
    Also ab, volle Pulle durch die Adria, wie die illegalen Einwanderer. Um drei Uhr nachts waren sie vor der Küste von Molise, zwischen Termoli und dem Lesina-See. Wirf den Zündschlüssel ins Wasser, mach die Waffen untauglich, demolier den Motor, zertrümmre mit der Axt den Kiel und sag der Swan ade für immer, frag bei den ersten Häusern nach dem Weg, den man – möglichst im Verborgenen – einschlagen kann, und dann hieß es auch für sie: »Jeder für sich … und Hals- und Beinbruch für alle!«
    An dieser Stelle ist es nötig, dass ich Ihnen die ganze Wahrheit sage, ich will Sie da nicht belügen. Sehen Sie, meinem Vetter Paride – während er mit dem Fahrrad der Hafenkommandantur Dubrovnik bereits in Richtung Apennin strampelte –, meinem Vetter Paride war der Tod des Vaterlands völlig egal. Das ist traurig, aber wahr. Er dachte nur an Armidas Hüften und Titten. Er war im siebten Himmel. Der glücklichste der Menschen an diesem 8. September: »O verflixt, ich komm zu ihr zurück.«
    Onkel Temistocle sah ihn drei oder vier Tage später aufkreuzen – es war frühmorgens, und mein Onkel stand auf der Brücke, wo er den Eimer Milch abgestellt hatte, damit der Mann von der Molkerei ihn fand, wenn er mit dem LKW die Milch einsammeln kam –, er sah ihn von der Kreuzung der Parallela mit

Weitere Kostenlose Bücher