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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Seite des Uferdamms.
    »Meine Kiiiinder …!«, kreischte Armida wie eine Furie, packte Menego im Flug und rannte über den Uferdamm und die Felder, verlor die Holzschuhe und lief barfuß weiter: »Meine Kinder, meine Kinder! Sie haben mir’s doch gesagt, die Bienen.« Paride hinterher. Bis nach Hause.
    Die anderen Kinder standen schon auf der Tenne. Adria, die Älteste – elf oder zwölf Jahre alt –, im weißen Nachthemd hielt die Geschwister an sich gedrückt, alle weinten. »Kinder!«, schloss Armida sie keuchend in die Arme.
    Paride reglos dahinter, während auf der Tenne ein Hin und Her einsetzte von sämtlichen Verwandten, die inmitten von Krach, Feuerschein, Dröhnen der Flugzeuge vroaaammm , die über unseren Köpfen beschleunigten, um an Höhe zu gewinnen und zurückzufliegen, alle schrien: »Zur Brücke! Laufen wir zur Brücke«, diese kleine Brücke, die der gesamten Parallela Sinistra als Luftschutzbunker diente.
    Nur Tante Clelia und Onkel Temistocle – er in langen Unterhosen, denn er schlief immer in Unterhosen, sommers wie winters – standen plötzlich auch reglos da. Zwei Salzsäulen mitten auf der Tenne. Schauten sie an und lasen in ihren Gesichtern die Schuld – Tante Clelia in Armidas Gesicht, Onkel Temistocle in dem des Sohnes. Ein Dolchstich ins Herz. Bisher hatte niemand etwas gemerkt. Nicht einmal die Brüder. Jetzt sahen sie ihnen in die Augen.
    Unter dem Blick des Vaters schlug Paride seine Augen sofort nieder. Armida nicht. Sie sah Tante Clelia weiter geradeheraus in die Augen, dann wandte sie sich zu Onkel Temistocle – dem Schwager –, dem ältesten Bruder von Onkel Pericle, und sah ihm in die Augen. Mit ihrem Blick übernahm sie die ganze Schuld und bat um Verzeihung und Erbarmen.
    »Gehen wir alle zur Brücke«, sagte Onkel Temistocle da, und es wurde kein Wort mehr darüber verloren.
    »Das war’s also«, dachte Armida, »was mir die Bienen sagen wollten.« Dann rannten alle los, während in sämtlichen Ställen der Parallela Sinistra das Vieh brüllte, die Hühner gackerten, die Hunde heulten wie die Wölfe auuuuuuuu und auch rannten, um sich unter den Zugangsbrücken zu den Höfen zu verkriechen.
    Nachdem sie die Kinder unter die Brücke gebracht hatte, lief Armida noch einmal los. »Bleib hier«, rief Tante Clelia, »bleib hier!« – »Nein, ich muss weg«, zu ihren Bienen, die wie verrückt in den Stöcken herumschwirrten. »Ich bin ja da, Bienchen«, sagte sie, »seid schön brav, ich bin ja da.« Paride kam um vor Verlangen, ihr nachzulaufen – sie zu beschützen in diesem Inferno –, aber er fühlte die Blicke der gesamten Parallela Sinistra auf sich, die sich seiner Ansicht nach in diesem Gang nur zusammengeschart hatten, um ihn zu verurteilen, während ihn in Wirklichkeit nicht einmal mehr der Vater ansah, weil er einfach nicht daran denken wollte. Die Mutter dagegen – nach einem lauteren Dröhnen vom Flugplatz her und dem sofort darauf folgenden Kreischen unter der Brücke – streichelte ihn verstohlen. Und während er versuchte, ihnen Geschichten zu erzählen und sie zum Lachen zu bringen, drückte er Armidas Kinder an sich.
    Keuchend kam sie zurück, in jedem Arm einen Bienenstock, und fing an, zu drücken und zu schieben, um nun auch für sich und ihre Bienen unter der Brücke Platz zu schaffen. Eine Schwägerin – nicht Clelia, sondern eins der Peruzzi-Mädchen vom Podere 517, eine Schwester ihres armen Mannes Pericle, sagte mit der gewohnten Herzlichkeit zu ihr: »Bleib weg, du mit deinen Bienen.«
    »Bleib weg, du!«
    Auch am nächsten Tag verloren Onkel Temistocle und seine Frau kein Wort über diese Sache, weder zu ihr noch zum Sohn. Im Übrigen redeten sie ganz normal wie immer, aber darüber kein einziges Wort, nicht einmal unter sich, wenn sie allein waren. Nichts. Nur ein Mühlstein. Jeder für sich. Und jeder versuchte sie zu schützen und zu decken, damit niemand – auch keiner von den Brüdern – Verdacht schöpfen konnte.
    Sie, Armida und Paride, erwähnten natürlich auch nichts. Ja, Paride ging den Eltern förmlich aus dem Weg, erfüllte auf der Stelle jeden Befehl, Blicken aber wich er aus, schlug sofort die Augen nieder. Armida dagegen sah sie lange an, bat – nur mit Blicken – um Verzeihung und Erbarmen. Wenn sie unter sich waren, fragte Paride: »Was wird aus uns?«
    »Nichts, das ist nichts. Du wirst heiraten und eine Familie haben, mein Lieber.«
    »Nein! Ich werd es allen sagen.«
    »Wenn du mich liebhast, wirst du nichts sagen,

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