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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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–, aber wenn er jeden Tag fischen ging, konnten die bei Onkel Temistocle ohnehin nicht alles aufessen. Der größte Teil wurde auf das Podere Nr. 517 von meinem Großvater verfrachtet, von wo aus es auf die Peruzzimannschaft im gesamten Agro Pontino verteilt und weitergeleitet wurde. Bei dem Hunger, der überall herrschte, waren wir die Einzigen, die – in Kriegszeiten – unter einem Proteinüberschuss litten. In sämtlichen Familien der Peruzzi im Agro Pontino gab es allerdings mittlerweile auch kein Kind mehr, das beim Mittag- und beim Abendessen nicht gesagt hätte: »Immer Fisch, immer Fisch! Ich bin es leid, Fisch zu essen.«
    Zu ihrem Glück musste Paride Mitte August seinen Ranzen packen und wieder Richtung Dalmatien ziehen – »Komme, was da wolle, aber einen Peruzzi, der desertiert, hat es noch nicht gegeben. Gib mir einen Kuss und bete für mich.« Es war der 16. August 1943, ein Montag, und er hat sich dem Gedächtnis der Peruzzi eingeprägt, weil am Tag darauf, dem 17., Onkel Benassi und Tante Santapace ihren Hochzeitstag feierten, und sie hätte wirklich großen Wert darauf gelegt, ihn beim Festessen dabeizuhaben. Er hingegen musste am Tag zuvor aufbrechen.
    An ihrem letzten Abend am Kanal – sie lag ausgestreckt auf dem Boden des Beckens, nachdem sie ihm den Rücken fast blutig gekratzt und ihm Schultern und Hals ganz zerbissen hatte – sagte Armida zärtlich, aber gebieterisch zu ihm: »Schwör mir, Paride, schwöre es, dass du nie irgendwem von dieser Sache erzählen wirst.« Tatsächlich war am Nachmittag mehr als eine Arbeitsbiene um sie herumgeflogen: » Summ summ , Armida! Was soll aus dieser Geschichte werden?«
    Nun brauchte sie nicht die Bienen, um das zu wissen. Das wusste sie auch so, in was für Nöte sie geraten würde, wenn man etwas davon erfuhr. Aus dem Mund der Bienen bekam das allerdings ein ganz anderes Gewicht. Deshalb ließ sie ihn vor dem Abschied am Kanal schwören: »Was immer geschieht, du darfst nie irgendjemand auf der Welt sagen, dass du mit mir zusammen warst. Schwör das bei mir, bei deinem Onkel, bei dem armen Turati, dem Hund, und bei all den Unsern, die wir haben auf dieser Welt, ob tot oder lebendig. Schwör es, Paride.«
    »Ich schwör’s dir, ich schwör’s dir.«
    »Leugne es immer, was auch immer kommt, leugne es immer!«
    »Ich werd’s leugnen, Armida, ich werd’s leugnen.«
    »Pass auf, du hast es geschworen!«
    »Ich hab’s geschworen«, und am nächsten Tag fuhr er.
    Es war – ich wiederhole es – der 16. August 1943. Um auf die andere Seite des Adriatischen Meeres zurückzukehren – nach Dalmatien, was heute Montenegro ist –, brauchte er zwei oder drei Tage, bei dem kriegsbedingten Chaos der Züge und Fährverbindungen. Er ergab sich jedenfalls in sein Schicksal, schlüpfte wieder in die Arbeitsuniform der Hafenmiliz, pflanzte sich wieder ruhig den ganzen lieben Tag lang hinter das Maschinengewehr Colt 6,5 seines Aufklärungsbootes – eine vierzehn Meter lange Swan, wie die der Decime Mas – und patrouillierte die gesamte Küste von Dubrovnik bis Kotor entlang: »Wer weiß, wann ich Tante Armida wiederseh.«
    Es vergingen keine drei Wochen, und es kam – wie Sie wissen – der 8. September, der »Tod des Vaterlands«, wie man das jetzt nennt. Der König und Badoglio unterzeichnen einen Waffenstillstand mit den Angloamerikanern, ohne irgendjemandem etwas zu sagen, und um schließlich doch das italienische Volk, das königliche Heer, die Behörden und den Staatsapparat gebührend davon zu unterrichten, jeden Untertan und Untergebenen jeden Ranges und Dienstgrads und, warum denn nicht, auch den alten deutschen Verbündeten, spielen sie im Radio eine Platte ab, und dann nix wie weg aus Rom, jeder für sich und Gott gegen alle. »Wenn es darum geht, abzuhauen«, sagte Großvater, »da kennen die noch weniger als Rossoni.« Fehlte bloß die Priestersoutane! Während im Radio noch die Platte lief: »… alle feindseligen Handlungen seitens der italien i schen Truppen gegenüber den angloamerikanischen Streitkräften sind allerorts einzustellen. Auf eventuelle Angriffe von anderer Seite we r den sie jedoch reagieren« , hatten die Herrschaften bereits Aufnahme gefunden bei den neuen angloamerikanischen Verbündeten, auf dem Kreuzer Bajonetta, unterwegs von Pescara nach Brindisi – »Ihr könnt uns mal.« Nie war ein Namen schicksalsträchtiger als dieser: ein Bajonett, für immer ins Herz dessen gebohrt, was wir bis dahin Vaterland genannt

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