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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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andererseits wieder das Röcheln des schon leblosen Priesters.
    Nachdem sie in Massafiscaglia dieses Rindvieh auf der Piazza abgesetzt hatten und er allein hinten auf dem Motorrad blieb, sich direkt an diesen anderen Kerl klammern musste – »Ihn mit bloßen Händen anfassen, pfui Teufel« –, dieses noch schlimmere Exemplar von einem Faschisten aus Comacchio, da konnte mein Onkel nicht mehr. Nach Hause zog es ihn nicht – »Wohin geh ich? Was mach ich?« –, und da kam ihm auch in den Sinn, dem Fahrer einen Stoß zu versetzen, das Motorrad durch sein Körpergewicht auf die Seite zu legen und alle drei, sich selbst, den Fahrer und das Motorrad, in den Po zu stürzen. »So braucht man nicht mehr daran zu denken. Aus und vorbei.« Aber mein Onkel war kein Mann für solche Sachen. Er wäre durchaus in der Lage gewesen – daran habe ich nicht den geringsten Zweifel –, ihn anhalten zu lassen, diesen unglückseligen Kerl mit dem Motorrad, und ihn eigenhändig im Po zu ersäufen, ihm den Kopf stundenlang fest unter Wasser zu drücken, ihn strampeln zu lassen, bis er »Genug« sagte und ganz allein den Po aussoff: »Ist gut, ich sterbe, ich krepier, geh zum Teufel.« Mein Onkel wäre da und würde ihm noch immer den Kopf unter Wasser halten. Aber dem anderen. Sich selbst zu töten, das liegt nicht in der DNA der Peruzzi. »Töte, so viele du willst, aber das eigene Leben ist heilig.« In der einen oder anderen Weise wird sich der Kosmos dir barmherzig erweisen, selbst wenn du tötest; du wirst dafür büßen und leiden, aber am Ende öffnet sich auch für den schlimmsten Mörder ein Tor. Das Einzige, wofür der Kosmos keine Nachsicht kennt, ist der Selbstmord. Nur dafür gibt es kein Pardon.
    Jedenfalls, als Onkel Pericle beschlossen hatte, dass er den anderen nicht töten würde, sagte er zu ihm: »Bring mich nicht nach Hause, bring mich ins Dorf«, und ließ sich am Ortsrand absetzen.
    Die Jacke unterm Arm, mit finsterem Gesicht und in seine Gedanken versunken, ging er den Corso hinauf, kam an die Piazza und ließ sich um diese Tageszeit dort blicken. Im Haus von dem Mädchen, meine ich.
    Das wird Ihnen nun seltsam vorkommen, aber seit dem Brand des pagliaio und der Selbstentzündung der Camera del lavoro – vier Jahre vorher also, und nun unterbrechen Sie mich nicht schon wieder – hatten sie nie mehr ein Wort miteinander gewechselt. Das letzte war eben dieses »Du Mörder« gewesen, das sie ihm ins Gesicht geschrien hatte, bevor sie ihm eine Ohrfeige versetzte, während er wie ein Idiot in die Luft schoss, um Haltung zu gewinnen. Danach nie mehr ein Wort. Und darüber waren vier Jahre vergangen.
    Es war natürlich nicht so, dass sie sich nicht mehr gesehen hätten oder dass keine Gelegenheit dazu gewesen wäre. Leute begegnen sich zufällig in Mailand, und da sollten sie sich in Codigoro nicht begegnen? Ich muss schon bitten! Aber es war so, dass sie, sobald sie ihn sah, die Nase in die Luft reckte und so tat, als sähe sie ihn nicht. Auch wenn er vor ihr stand. Du existierst nicht. Ich hab dich nicht gesehen. Und je mehr er versuchte, ihr in den Weg zu treten, umso mehr wich sie ihm aus. Sie sah ihn nicht. Er existierte nicht.
    Mein Onkel hatte darüber den Kopf verloren. Nachts träumte er von ihr. Er träumte von diesen Waden, die er versuchte, von unten zu packen, als er sie vor dem Feuer rettete, während sie um sich trat.
    Vor den Kameraden vom Fascio schnitt er auf und markierte immer den starken Mann. Gelegentlich fuhren sie sonntags alle zusammen nach Ferrara in den Puff. Wenn sie dagegen in Codigoro in der Casa del Fascio waren – die frühere Camera del lavoro, wie ich Ihnen bereits sagte, und sie wohnte obendrüber – und sie auf die Straße herunterkam, redete er besonders laut, um sich bemerkbar zu machen. Aber je lauter er sprach, umso angewiderter zeigte sie sich. Sie machte wirklich ein angeekeltes Gesicht – natürlich zur anderen Seite gewandt, zu den anderen Leuten oder ihren Freundinnen –, den Blick gesenkt, wie um zu sagen: »Was ist denn das für einer!«
    Meinem Onkel ließ das keine Ruhe. Besonders wenn er sah, dass sie sonntags beim Spaziergang nach der Messe – oder auch beim Fest des Schutzpatrons auf der Piazza – mit ebenjenem Pellegrini lachte, scherzte und tanzte, diesem eingeschworenen Feind von der sozialistischen Liga, der seiner Ansicht nach ihren pagliaio angezündet hatte, zu dem meine Onkel dann hingefahren waren, um auf ihn zu schießen und die casoni in Brand zu

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