Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Friesenhahn
Vom Netzwerk:
Und mir hatte es auch noch gefallen. Meine Gedanken rasten. Was sollte ich tun? Sollte ich überhaupt etwas tun? Ich lehnte den Kopf an die Wand und versuchte, meine Fassung wiederzufinden. Kinder, Buben! War ich ein warmer Bruder? Ein Kinderschänder? Aber ich hatte es doch nicht gewusst!
    Plötzlich riss jemand die nächste Tür auf.
    „Charles, wo bleibst du denn so lange? Wir dachten schon, du wärst ins Klo gefallen“, lärmte Horst in bester Laune und schloss die Tür. „Ich muss auch mal“, sagte er und kam näher. Ich antwortete nicht.
    „Was ist los, Charles, ist dir schlecht? Musst du kotzen?“, fragte Horst besorgt, als er mich so bleich an der Wand lehnen sah. Ich deutete mit der Hand auf die Tür.
    „Hast du ...? Weißt du ...? Ich ..., ich habe die Tür da aufgemacht ...“
    „Hey, Charles! Nur mit der Ruhe“, sagte Horst leise. Er legte seinen Arm um meine Schultern und wir gingen in Richtung Toilette.
    „Ich wollte dir ein schönes Erlebnis verschaffen. War es nicht schön?“
    Ich ging nicht auf seine Frage ein.
    „Hast du gewusst ...“, bohrte ich weiter.
    „Ich muss dir das erklären, mein Freund“, unterbrach mich Horst. „Das ist so eine Marotte der Schlitzaugen. Die gelben Hurensöhne sind der Meinung, dass zehnjährige Kinder den perfekten Mund zum Blasen haben.“
    „Aber Jungs?“, presste ich hervor. Ich würgte.
    „Ja, Jungs. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das hier läuft. In der ganzen Stadt gibt es derartige Läden. Offiziell streng verboten. Aber der vietnamesische Polizeichef ist selbst an einigen dieser Etablissements beteiligt. Und die gibt es seit Urzeiten. Aus der ganzen Umgebung Saigons strömen Unmengen von Familien hierher und hoffen, dass ihr zehnjähriger Sohn auserwählt wird. Die reichen Säcke der Stadt sind wählerisch. Die Buben dürfen nur ein Jahr lang hier arbeiten. Von ihrem zehnten bis zu ihrem elften Geburtstag. Die gelben Affen sind der Meinung, das wäre das beste Alter für diese Dienste. Die Jungs verdienen in diesem Jahr so viel, dass sie ihre Familie sieben bis acht Jahre davon ernähren können. Angeblich hat nur einer von 20 die Chance, hier zu arbeiten. So mancher heute reiche vietnamesische Geschäftsmann hat sich die Basis seines Erfolges in Häusern wie diesem hier verdient. Bei den Asiaten ist das Tradition. Also scheiß dich nicht an, Charles, nimm es locker. Du hast nichts Schlimmes getan, das gehört hier zum Alltag. Und die sind doch gut, oder? Es hat dir doch gefallen, oder?“
    „Aber Buben? Bin ich ein warmer Bruder, Horst?“ Ich war immer noch verwirrt. Aber Horst hatte es tatsächlich geschafft, mich zu beruhigen. Seine Erklärungen waren einleuchtend. Und ich hatte in diesem Land schon manch seltsame Bräuche gesehen. Aber diese Sache beunruhigte mich. Vor allem, weil es mir gefallen hatte.
    „Hey, Junge! Spinnst du jetzt komplett?“, polterte Horst mit vergnügter Miene. „Du bist doch kein Warmer. Warum glaubst du, gibt es diesen riesigen Umhang? Kein Mann will sehen, wer ihm da Gutes tut. Wenn es auch alle wissen, sehen will es keiner. Wenn alle, die hierher kommen, warm wären, gäbe es keine Kinder mehr in der Stadt. Nöö, die Geldsäcke sind alle verheiratet, haben Frau und Kinder zu Hause. Die lassen sich einfach nach allen Regeln der Kunst einen blasen und gut ist.“
    Ich schwieg nachdenklich, war aber seltsamerweise beruhigt. Wenn das hier praktisch zum guten Ton gehörte, brauchte ich keine Gewissensbisse haben. Und wenn die Jungs dabei reich wurden, schadete es ihnen ja nicht. Horst war so überzeugend, dass ich mir jetzt sogar lächerlich vorkam, wegen meines Entsetzens vorhin.
    Er pinkelte, dann schlug er mir freundschaftlich auf die Schulter.
    „Na Junge, geht es wieder?“, sagte Horst und grinste übers ganze Gesicht. „Jetzt nehmen wir noch ein Bier und dann hauen wir ab. Morgen haben wir einen harten Tag vor uns.“
    Ich atmete tief durch und riss mich zusammen. Etwas beschämt folgte ich ihm zurück zu den beiden Kameraden. Und wir tranken noch eine Runde Bier, bevor wir gut gelaunt nach Arnaultville aufbrachen.

Hoc Mon, Montag, 30. April 1951, 9.45 Uhr
    Meine Uniformknöpfe funkelten im Glanz der Sonne, die einen wunderschönen Tag versprach. Arnaultville war herausgeputzt wie eine Dorfjungfrau zur Fronleichnamsprozession. Ich stand als dritter Mann in der ersten Reihe der 1ère Compagnie. Alle Kompanien der I/13e Demi-Brigade de Légion Étrangère waren angetreten und zeigten sich von ihrer

Weitere Kostenlose Bücher