Candy
Füße kam, sich streckte und … Gott, war der groß. Er war
riesig
. Groß, wuchtig, schwer, breit, stark, beinhart … er ragte hoch über den Tisch wie ein Riese aus schwarzem Stahl.
Als er seinen Stuhl nach hinten stieß und sich auf mich zubewegte, beugte sich Candy plötzlich herüber und stieß mich in die Seite.
»
Nein!
«, sagte sie verzweifelt und sah Iggy an. »Nein, es ist alles in Ordnung … Schau, er geht schon. Er geht jetzt. Du musst nichts machen. Siehst du? Er geht.« Sie warf mir einen Blick zu und ihre Augen flehten mich an zu verschwinden. Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen – ich war schon halb auf den Beinen. Candy fasste nach meinem Stuhl. Ich spürte, wie ihre Hand meinen |40| Schenkel streifte, dann bewegte sie sich schnell zurück auf ihren Platz und schaute wieder zu Iggy auf. Während er noch über mir stand, sah er sie böse an, den Kiefer angespannt unter der Haut, und einen Moment glaubte ich, er würde sie töten. Ich sah es in seinen Augen. Er würde sie töten und dann mich … Da war ich mir ganz sicher. Schließlich aber – nach einer Zeit, die wie eine Ewigkeit schien – entspannte sich sein Gesicht wieder und er sank langsam auf seinen Stuhl zurück.
»Glückspilz«, sagte er leise.
Ich trat vom Tisch zurück und fand Halt an einem Stuhl. Meine Beine zitterten und meine Kehle war zugeschnürt. Ich fühlte das Schweigen um mich herum – die Stille der Gewalt, die mir die Luft aus der Lunge sog. Ich hörte, wie die Leute zuguckten, murmelten, aber ich sah sie nicht. Das Einzige, was ich sah, war ein enger schwarzer Tunnel mit mir am einen Ende, einer Totenmaske am andern und einem blassen, hellen Geist, der irgendwo dazwischen hin und her schwebte.
Ich riss den Blick von der Maske los und schaute kurz auf den Geist, doch sie schaute nicht zurück. Ihre gesenkten Augen sagten mir:
Geh, bitte … um Gottes willen, jetzt geh doch.
Ich hatte nicht genügend Mut, Nein zu sagen, also drehte ich mich einfach um und wollte verschwinden.
»Hey«, sagte Iggy.
Ich
wollte
nicht stehen bleiben – ich wollte weitergehen und nie mehr zurückkommen –, aber ich konnte nicht anders. Es war diese Stimme.
Ich blieb stehen.
Hielt inne.
Drehte mich dann um.
|41| Iggy lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte mich mit durchdringender Kälte in den Augen an.
»Lachst du gern?«, fragte er leise.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht mal, was er meinte. Ich sah angespannt zu, wie er grinste, seine Hand hob und dann langsam mit dem Daumennagel über seine Kehle fuhr.
»Wenn ich dich noch ein Mal sehe«, sagte er, »dann lachst du dich tot.«
|42| 3. Kapitel
I ch erinnere mich kaum an die Bahnfahrt nach Hause. Ich weiß noch, dass ich zu dem Arzt ging und dann die U-Bahn zurück zur Liverpool Station nahm, und vage erinnere ich mich auch noch, dass ich in der Bahnhofshalle wartete, dann den Bahnsteig entlanglief und in den Zug stieg, doch danach – ist mein Gedächtnis leer. An die Fahrt erinnere ich mich überhaupt nicht. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass ich nachdachte: über Candy, über Iggy, über mich … und mich in eine Sackgasse hineindachte. Candy … Iggy … Candy … ich … Candy … Iggy … Candy … ich … Stimmen … Gesichter … Körper … Augen … Candy … Iggy … Candy … ich …
Und das Nächste, was ich weiß, ist, dass der Zug langsamer wurde und in den Bahnhof von Heystone einfuhr.
Nicht viele Fahrgäste verließen den Zug. Ein paar angetrunkene Pendler, ein bärtiger alter Mann mit Sherlock-Holmes-Mütze, eine schrecklich geschäftige Frau mit klappernden Schuhen … aber das war es auch schon in etwa. Sie blieben nicht stehen – raus auf den Parkplatz, rein in ihre Autos und weg waren sie, noch ehe der Zug den Bahnsteig verließ. Ich wartete, bis er abfuhr, sah ihm |43| nach, wie er aus dem Bahnhof ratterte, sich die Gleise entlangschob und im fernen Dunkel verschwand … bis nichts mehr zu sehen war. Ich stand eine Weile da, starrte auf nichts Bestimmtes und lauschte der Bahnhofsuhr, wie sie die Sekunden digital wegklackte –
klack … klack … klack
–, dann drehte ich mich um und suchte nach einem Taxi.
Außerhalb des Bahnhofs war alles still – die Straßen, der Parkplatz, die Felder drum herum. Nichts bewegte sich, nichts rührte sich. Keine Autos, keine verrückten Menschen, keine aufblitzenden
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